Rückzug durch St. Wendel


von Alfred Klein, Niederlinxweiler

Der frühere Direktor der St. Wendeler Kreissparkasse, Alfred Klein, wohnt in Niederlinxweiler. Im Zuge meiner Nachforschungen über das Kriegsende im Kreis St. Wendel erzählte er mir im Sommer 1995 die Geschichte des Rückzuges seiner Einheit, die ihn u.a. auch durch St. Wendel führte:

"Ich wurde am 8. Oktober 1943 in Rußland verwundet und kam übers Feldlazarett zunächst in ein Truppenlazarett in Wirballen in Ostpreußen und von da nach Marienbad in der CSSR. Von dort stellte ich einen Antrag zur Verlegung ins Heimatlazarett nach St. Wendel, das in der dortigen Kaserne untergebracht war. Für die Fahrt nachhause wurde mir eine Begleitperson zur Verfügung gestellt, dieser Mann fuhr sofort wieder nach Marienbad zurück.

Ich kam einen Tag vor Heiligabend 1943 in St. Wendel an und erhielt sofort Urlaub - auf der Schreibstube arbeitete ein St. Wendeler, den ich kannte. Ich durfte bis nach Weihnachten zuhause bleiben. Ich war durch eine Granate verwundet worden, die vor mir bzw. vor dem vor mir stehenden Funkgerät eingeschlagen war. Das Funkgerät rettete mir das Leben, in dem es die meisten Splitter auffing und ich "nur" von denen getroffen wurde, die noch durch das Gerät hindurchdrangen. Ich erhielt einen Stecksplitter im Oberkiefer rechts der Nase. Der ging gottseidank nicht durch, sonst wäre es sowieso aus gewesen.

Der rechte Unterarm erhielt einen Durchschuß; der Knochen konnte nicht genau gerichtet werden; wenn er an der unteren Kante paßte, paßte er oben nicht. Und andersherum. Deshalb ist mein rechter Arm um etwa 1,5 cm kürzer als der linke. Weiter erhielt ich einen Treffer an der Oberseite des rechten Oberschenkels, der Muskeln und Sehnen zerfetzte. Die linke Hand war gebrochen: da war das Funkgerät draufgefallen. Ich hatte also beide Hände in Gips, der Arm wurde zum Richten noch dreimal gebrochen, um die Knochen aneinanderzubringen. Das war unter den Umständen die einzige Methode, die sie hatten, wenn auch ziemlich primitiv. Und das linke Ohr war verletzt; seit dieser Zeit habe ich ein dauerndes Klingeln in diesem Ohr.

Ich lag im Lazarett bis November 1944, fast ein ganzes Jahr. Eigentlich sollte ich schon früher nach Kaiserslautern entlassen werden, denn dort befand sich die Entlassungstelle für zu entlassende Soldaten. Mein rechtes Bein war lahm; ich war wehruntauglich. Da kam ein neuer Arzt in die Kaserne, ein Stabsarzt oder so. Wo er genau herkam, weiß ich nicht mehr, auch nicht mehr den Namen - er kam irgendwo vom Rhein. Er war ganz neu in St. Wendel, und ebenso neu war die Operationsmethode, die er mitbrachte. Ich mußte mich bei ihm vorstellen, er schaute sich meine Verletzungen an und sagte: "Oh, Sie sind ein Fall für mich. Ich kann Ihr Bein wieder gehfähig machen. Es kommt nur darauf an, ob Sie damit einverstanden sind oder nicht. Zwingen kann ich Sie ja nicht." Er gab mir einen Tag Bedenkzeit.

Da ich aus St. Wendel stammte, ging ich nachhause, hinunter in die Stadt, um diesen Plan mit meinen Eltern zu besprechen. Denn wenn der Arzt es fertigbrächte, daß mein Bein wieder gehfähig wird, dann war mir das ja lieber, als wenn das nachher ganz verhärtet und weiß Gott irgendwann mal operiert werden muß. So erklärte ich mich einverstanden, und er operierte mich. Nach etwa 10 Tagen, als alles verheilt war, wurden die Verbände entfernt, und siehe da - ich konnte wieder gehen. Natürlich war meine Entlassung aus dem Wehrdienst damit hinfällig, und ich mußte wieder zur Truppe zurück.

Ich sollte nach Metz zu einer Ersatzeinheit, kam aber dort nicht mehr rein, weil die Bedrohung durch die Amerikaner schon zu stark war. Die Einheit war inzwischen nach Trier hinauf auf den Petersberg verlagert worden, ich fuhr also dorthin. Ich hielt mich ein paar Tage dort auf, bis ich eines Morgens zur Schreibstube bestellt wurde. Dort sollte ich die Marschpapiere bekommen, um zurück zu meiner alten Einheit nach Rußland zu kommen. Die Papiere waren nach Breslau ausgeschrieben und von dort weiter nach dem Nordabschnitt. Ich nahm also meine Papiere und verließ die Schreibstube. Als ich über den Flur ging, kam mir jemand entgegen. Ich dachte, nanu, den kennste doch. "Gollbach" sagte ich. Es war unser Batterieoffizier aus Rußland. Er erkannte mich natürlich auch sofort wieder: "Klein! Was ist denn los?" "Ich habe hier meine Papiere für unsere alte Einheit." Er war auch aufgrund einer Verletzung in die Heimat geschickt worden, hatte aber nach seiner Genesung den Auftrag erhalten, eine neue Batterie aufzustellen, die in die schon bestehende Heeresartillerieabteilung (mot) 456 eingegliedert wurde (diese Abteilung bestand zu diesem Zeitpunkt aus lediglich drei Batterien, zu der unsere als Nummer vier hinzukam). Man ließ ihm dabei freie Hand, d.h. er konnte sich auf dem ganzen Gelände die Soldaten zusammensuchen, die er haben wollte. Er sagte: "Komm her, nix, du gehst mit mir. " Wir sind dann zurück auf die Schreibstube gegangen, ich gab meine Papiere ab und wurde auf seine neue Einheit umgeschrieben. Das war mein Glück, denn ich brauchte nicht mehr nach Rußland. Gollbach hatte inzwischen schon sieben oder acht Männer aus unserer alten Einheit aufgetrieben und sie zurückgehalten. Er selbst blieb übrigens nicht lange bei der Einheit, da er bereits nach drei Wochen im Einsatz schwer verwundet wurde.

So kam es, daß ich hier im Westen blieb. Die Einheit wurde Ende November vollständig zusammengestellt und mit 8.8-Flak-Geschützen zur Panzerabwehr ausgestattet. Wir holten die Fahrzeuge und die Geschütze in Tholey ab. Wenn man mit der Bahn nach Tholey fährt, passiert man den Tunnel und fährt in den Bahnhof ein. Am gegenüberliegenden Ende des Bahnhofs befindet sich eine Art Bucht in den Berg hinein, wo ursprünglich die Bahnverbindung nach Lebach gebaut werden sollte. Dort holten wir unsere Ausrüstung ab, die auf Eisenbahnwaggons auf uns wartete. Wir überführten sie nach Trier und erhielten dort unsere Einsatzbefehle. Wir wurden dem Heeresoberkommando West "zbV", also "zur besonderen Verwendung" unterstellt und stets nur an Brennpunkten eingesetzt: Faha, Sinzig, Nennig, Remich, Orscholzriegel. Ich gehörte zur 4. Batterie. Trotz meines niedrigen Dienstgrades - ich war Obergefreiter - unterstand mir der komplette Funktrupp, drei Fahrzeuge und 23 Mann.

Kurz nach Weihnachten - am 28. Dezember 1944 - wurde unser Funktrupp aus der Batterie herausgezogen, in die Pfalz verlegt und während des Unternehmens "Silvesternacht" im Hanauer Forst eingesetzt. Die dort kämpfenden Einheiten hatten nur wenige Funkeinrichtungen und konnten in dem hügeligen Gelände den notwendigen Funkverkehr nicht gewährleisten. Da wir auf unserem Lkw wesentlich bessere Geräte hatten, war es unsere Aufgabe, die Funkverbindungen zwischen den Einheiten herzustellen. Sonst hatten wir keine Aufgabe. Wir marschierten also am 31. Dezember 1944 in das Gelände hinein und postierten uns dicht hinter dem Waldrand.

Ich werde diese Nacht nie vergessen. Es war sehr, sehr kalt, und der Führer hielt via Funk eine Rede, die wir als Funker natürlich sehr gut mitbekamen. "In dieser Nacht greifen meine tapferen Soldaten den Feind an ..." und so weiter. Ich dachte damals: "Mein lieber Freund, wenn du deine 'tapferen Soldaten' mal sehen könntest." Das war ein zusammengestoppelter Haufen, Magenbattallione (mit magenkranken Soldaten), Volkssturm, alles mögliche, was dort herumgegeistert ist. Die Infanteristen griffen also dort mit leichter Panzerunterstützung an. Als sie aus dem Wald aufs freie Feld hinauskamen, war auf einmal die ganze Fläche hell erleuchtet. Die Amerikaner hatten vorher vorm Waldrand Draht gespannt, in den die deutschen Soldaten nun hineinliefen und das Magnesium entzündeten. Die Amis hatten freies Schußfeld. Der ganze Angriff brach innerhalb kürzester Zeit in sich zusammen.

Als diese Aktion vorbei war, sind wir wieder zurück zu unserer Einheit. Sie war ziemlich auseinandergezogen bis hinunter nach Merzig oder sogar Saarlouis. Dort haben wir viele amerikanische Panzer abgeschossen. Die Amerikaner hatten die Eigenart, abends eine richtige Wagenburg aufzubauen, so wie man es in Wildwestromanen liest. In der Mitte standen die normalen Fahrzeuge und lagerten die Männer, während außen herum in einem Kreis die Panzer standen. Eines Abends hatten wir eine solche "Panzerburg" ausgemacht. Wir waren zwar motorisiert, konnten aber mit den Fahrzeugen nicht nahe heranfahren, sonst hätte uns der Ami gehört. Also mußten die Mannschaften absitzen und die doch einige 'zig Zentner schweren, aufgeprotzten 8.8-Geschütze von Hand ziehen. Wir brachten sie in der Nacht in Stellung. Am nächsten Morgen, als wir genug Licht hatten, schossen wir mit unseren Geschützen in die Stellung der Amerikaner hinein und zerstörten etliche Panzer. Der Angriff kam völlig überraschend für sie. Unsere Fahrzeuge standen währenddessen in Bereitschaft; noch während wir schossen, fuhren sie heran, die Geschütze wurden angeprotzt. Das dauerte nicht lange, es war eine Sache von Minuten. Und schon ging es schnell weg in die Wälder und Stellungen hinein. Denn kurze Zeit darauf kamen schon die Jabos und suchten uns.

Wir benutzten die 8.8 meist zum direkten Beschuß. Die Artillerie macht das normal anders; die schießt selten direkt. Meist gibt es da einen vorgeschobenen Beobachter, der die viel weiter hinten stehenden Geschütze mittels sogenannter Leit- oder Gradzahlen einweist. Wenn aber die Geschütze der Artillerie nicht plan stehen, d.h. genau ausbalanciert sind, kann der dort vorne Zahlen durchgeben, wie er will, dann treffen die nie. Bei direktem Beschuß ist diese genaue Plan-Stellung nicht notwendig, es wird direkt gezielt und geschossen. Wir verwendeten bei unseren 8.8 spezielle Panzermunition. Die Geschosse hatten eine Bleispitze: wenn ein Geschoß einen Panzer traf, blieb es an der Außenhülle haften und glitt nicht ab, bevor es detonierte.

Gegen die immer stärker werdende Übermacht der Amerikaner konnten wir allerdings auf Dauer nichts ausrichten und mußten uns daher immer wieder zurückziehen. In den Westwallbunkern saßen wir nur ein paar Tage. Das muß so in Höhe von Merzig gewesen sein. Die Bunker waren allerdings nicht besetzt, und wir benutzten sie auch lediglich zur Beobachtung des Feindes. Einmal versuchten wir, in drei oder vier Bunkern untereinander Sprechverbindung herzustellen, was uns schließlich nach einigen Mühen auch gelang. Die Bunker waren untereinander verkabelt, und vor manchen gab es Schaltkästen. Diese wurden von uns aufgebrochen, dann bastelten an den Klemmen herum, bis es uns nach langen Bemühungen gelang, die drei Bunker "ans Netz" zu bekommen. Die anderen Bunker aber waren nicht besetzt. Geschütze waren keine mehr vorhanden, wir nutzten die Bunker als sog. "B"-Stellen (B wie Beobachtung). Wir hatten auch Funkgeräte dort, um die Verbindung zu den einzelnen Geschützen halten zu können, und gaben die Positionen ausgemachter Ziele für direkten Beschuß weiter.

Wir lagen auch kurze Zeit auf Schloß Berg bei Nennig. Das Gebäude stand zu diesem Zeitpunkt leer, es war niemand mehr da. Wir bedienten uns aus den Weinbeständen im Keller. Leider lagen wir dort nur ein paar Tage. Ansonsten sind wir immer die Saar rauf und runter gefahren, mal in Mettlach, mal in Merzig, mal irgendwo dazwischen. Wir wurden immer angefordert und dorthin beordert, wo irgend etwas los war. Da wir motorisiert waren, wurde uns kein bestimmter Abschnitt zugeteilt; wir mußten dorthin, wo wir gebraucht wurden. Die Bewegungen fanden wegen der Jabogefahr meistens nachts statt.

Mitte März verließen wir diese Gegend. Bei Niederlosheim wurden wir mitten im Wald in der Nähe des Forsthauses Ferdinandshaus in ein Gefecht mit den Amerikanern verwickelt. Wir drangen in den Wald vor und stießen auf amerikanische Panzerspähwagen. Dabei handelte es sich um Halbkettenfahrzeuge, ähnlich denen, die auch die Deutschen benutzten, bestückt mit schweren Maschinengewehren oder leichten Kanonen. Wir durchkämmten den Wald und fanden die Amerikaner darin. Es war für uns schon sehr selten geworden, daß wir uns mit Infantrie überhaupt rumschlagen mußten. In jenem Waldstück nahmen wir noch 40 Amerikaner gefangen. Das geschah ungefähr am 15. oder 16. März.

Doch dann zogen wir uns weiter zurück. Über Mitlosheim durch Kastel, wo noch einige Scharmützel stattfanden, kamen wir nach Hasborn, von dort nördlich an Theley vorbei direkt nach Gronig. In Selbach waren wir gar nicht. Gronig erreichten wir am Abend des 17. März und übernachteten dort. Die Amerikaner waren im Prinzip direkt hinter uns, wir hatten uns immer grad so im letzten Moment abgesetzt, daß sie uns nicht erreichten.

In der Nacht auf den 18. erhielten wir in Gronig den Befehl, nach Bliesen zu verlegen. Wir verließen den Ort, durchquerten Oberthal und bezogen wie befohlen vor Bliesen - also zwischen dem Ort und Oberthal - Stellung. Die Geschütze wurden unmittelbar vor den Häusern plaziert. Die Funkabteilung fuhr in den Ort rein, alle Geräte der B-Stelle und der Funkstelle wurden in einem Haus untergebracht. Wir versuchten nun festzustellen, wo wir denn überhaupt Beobachtungsmöglichkeiten hätten. Und da fiel uns der Kirchturm ein. Die Tür zur Kirche war natürlich geschlossen, also brachen wir sie auf und gingen rein; vom Pastor war weit und breit nichts zu sehen. Ich selbst stieg nicht auf den Turm, sondern einer meiner Funker und ein Beobachter. Die beobachteten von dort oben die Bewegungen des Feindes. Als dieser aus Oberthal raus kam, erhielten wir den Schußbefehl und feuerten. Einige amerikanische Panzer wurden dabei zerstört. Darüber wurde es Mittag, und der Druck der Amerikaner wurde immer stärker. Schließlich kam der Befehl "Absetzen und Zurückziehen". Warum man damals bei dem Ziel des Absetzens gerade auf Dörrenbach kam, ist mir bis heute ein Rätsel. Wir erhielten aber schon hier in Bliesen den Auftrag, uns über St. Wendel nach Dörrenbach abzusetzen. Wir hatten bezüglich St. Wendel die klare Anweisung, dort keine Stellung zu beziehen, da die Stadt Lazarettstadt und nicht zu verteidigen sei (deshalb war es mir beim Treffen der Altstadtfreunde im März 1995 unverständlich, daß da noch Truppen lagen, die St. Wendel verteidigen sollten). Es lagen noch andere Einheiten in Bliesen, die ebenfalls 8.8-Geschütze besaßen, allerdings fest in Stellungen installiert. Teile dieser Einheiten befanden sich ebenfalls auf dem Rückzug oder bereiteten sich darauf vor, sich abzusetzen.

Wir sollten uns als Einheit nicht geschlossen zurückziehen, sondern in Einzelgruppen - "je nach Lage". Wir haben uns dann teilweise hier zwischen den Häusern versteckt, bis wieder ein paar Teile abgerückt waren. Da wir warten mußten, bis wir an der Reihe waren, machte ich noch einen "Hausbesuch". Rosel Schönecker, die Tochter des späteren Ortsbürgermeisters, war eine Arbeitskollegin während meiner Tätigkeit bei der Kreissparkasse St. Wendel gewesen. Ich dachte mir, schau mal, ob sie zuhause ist, und ging zur Tür. Die Familie saß im Keller. Ich sagte zu Rosel, sie solle meine Familie informieren. Wenn ich nicht mehr heimkäme, sollten die wenigstens wissen, daß ich bis hierher gekommen wäre. Wir verließen den Ort über die Hauptstraße.

Als wir gerade die Abfahrt nach Winterbach passierten, tauchten plötzlich über Bliesen amerikanische Jagdflugzeuge, sogenannte "Jabos", auf. Eins von ihnen flog die Hauptstraße entlang und paßte seine Höhe dem Gelände an. Am Ortsausgang tauchte er hinab ins Tal bis dorthin, wo heute Euro-Schu sein Gelände hat, und begann zu feuern. Der Wagen, der unmittelbar hinter uns fuhr - es gehörte nicht zu unserer Einheit -, wurde voll getroffen. Alle Männer darin starben. Und wenn der Pilot nicht seine Maschine hätte hochziehen müssen, hätte er uns auch erwischt. So ging sein zweiter Feuerstoß über uns hinweg ins Leere.

Nach dem Krieg besuchte ich diese Stelle und bemerkte, daß die dort getöteten Soldaten nicht weit davon am Hang unter den sogenannten Friedenstannen beerdigt wurden.

Die anderen Batterien der Abteilung bewegten sich übrigens parallel zu uns, eine von uns muß also durch Winterbach gekommen sein, als wir in Bliesen waren.

Der 18. März war ein klarer Sonnentag, und die Jabos waren in überall. Wir fuhren weiter und versuchten, unser Ziel Dörrenbach zu erreichen. Man muß sich das so vorstellen: wir mußten jeden Moment damit rechnen, auch von den Jabos angegriffen zu werden. Also saß vorne auf der Kühlerhaube des Autos ein Beobachter, der uns sofort alarmierte, wenn irgendwo ein Flugzeug in Sicht kam. Wir fuhren dann sofort rechts ran, sprangen aus dem Wagen und gingen in Deckung. Die Panzersperre vor Alsfassen war nicht besetzt und stand weit offen. Die Höcker reichten bis dicht an die Straße, die damals längst nicht so breit war wie heute; die bewegliche Sperre befand sich unmittelbar unterhalb.

Am Ortseingang von Alsfassen - dort stand damals ein Dorfbrunnen - stieß wieder ein Jabo auf uns herab. Wir bogen sofort in den Falkenbösch ein, der Flieger jagte über uns und die Straße hinweg und verschwand. Wir fuhren sofort wieder auf die Hauptstraße zurück und weiter Richtung Stadtmitte über Breiten; ich bin gebürtiger St. Wendeler, daher suchte ich die Strecke aus, die mir am sichersten erschien. Kurz vor der Unterführung, die damals wesentlich schmäler war als heute, kam wieder der Alarmruf, ein Jabo greift an. Wir jagten in die Unterführung. Der oben im Flugzeug meinte nun wohl, wir müssen ja auf der anderen Seite wieder hinaus, dort erwischt er uns dann. Wir blieben aber unten drunter einfach stehen. Der Pilot gab also eine Salve über die Brücke hinweg auf die Straße dahinter ab, traf uns natürlich aber nicht. Ich habe nachher gesehen, daß er das Haus Ecke Mommstraße/Brühlstraße (heutiger Spielsalon) getroffen hatte: die Einschläge in der Wand waren gut zu erkennen. In den Straßen der Stadt gab es kaum Zivilisten, nur ab und zu ein paar Soldaten.

Wir fuhren mit unserem Funkwagen die Bahnhofstraße hinunter bis zur Wohnung meiner Eltern, die das zum ehemaligen Hotel Knoll gehörige Bierlokal als Pächter betrieben. Zum Bierlokal gehörte vor dem Krieg ein Biergarten mit Musikpavillon. Hinter dem Haus befand sich ein großer Saal, in dem des öfteren Veranstaltungen durchgeführt wurden. Das große Holztor durch die Hausdurchfahrt war schnell aufgedrückt und der Funkwagen hineingefahren. Jetzt war er aus der Luft nicht mehr zu sehen. Ich hatte gehofft, meine Eltern hier zu treffen, aber sie waren nicht da. Also beschloß ich kurzerhand, sie zu suchen. Vorher ging ich mit meinen Begleitern aber noch in den Keller runter, weil ich wußte, daß es dort etwas zu trinken gab. Die Tür war zwar zu; doch das Vorhängeschloß brachen wir einfach auf.

Ich ging also zu meiner Tante und meinem Onkel, die in der Hintergasse in der Hospitalstraße - kurz bevor sie auf die Marienstraße trifft - wohnten. Ein Kamerad begleitete mich dorthin, während die anderen mit dem Wagen in der Bahnhofstraße warteten. Im Haus in der Hospitalstraße traf ich meinen Vater und meine Schwester. Als ich nach meiner Mutter fragte, erfuhr ich, daß diese im Krankenhaus lag. Sie war bei einem Fliegeralarm in den Keller gerannt, auf der Treppe gestolpert und gestürzt und hatte sich das Bein gebrochen. Wir gingen also ins Krankenhaus. Als ich in Uniform dort eintraf, gab es schon ein bißchen Aufregung. Ich begrüßte meine Mutter und redete mit ihr, brach aber bald wieder auf und ging zu meinem Vater zurück. Der hat dann versucht, mich zum Dableiben zu bewegen; er wollte mich praktisch zum Desertieren überreden. Er sagte: "Es ist doch aus. Der Amerikaner kommt doch gleich. Bleib hier ..." usw. Es war eine schwere Entscheidung, ich mußte mit mir kämpfen. Auf der anderen Seite war da der Kamerad, der mir sagte: "Du bist der einzige, der sich hier auskennt."

Der Obergefreite Kaltermann aus Mannheim war es, der mir mal in der Nähe von Losheim das Leben gerettet hatte. Wir lagen damals bei Losheim in einer Stellung. Auf einmal sah er, wie ein amerikanische Panzerspähwagen - so einer mit sechs Gummirädern - dort vorfuhr und sein MG auf uns richtete. Ich stand auf dem Rand unserer Stellung und drehte dem Fahrzeug den Rücken zu. Geistesgegenwärtig riß er mir schnell die Beine weg - da kam auch schon die Maschinengewehrsalve.

Und da habe ich dann beschlossen, nicht zu desertieren, sondern mit meinen Kameraden weiterzufahren. Wie sich nachträglich herausstellte, war das der richtige Weg, den ich eingeschlagen hatte, denn noch keine halbe Stunde, nach dem wir abgerückt waren, kam schon die Feldgendarmerie und sagte, hier hätte sich doch ein Soldat versteckt. Sie durchsuchten die Wohnung, fanden natürlich aber niemand mehr. Man kann sich vorstellen, was die mit mir gemacht hätten, wäre ich dageblieben. Irgendjemand aus der Nachbarschaft muß mich beobachtet und gemeldet haben. So ohne weiteres wären die ja nicht gerade dorthin gekommen. Wo die Feldgendarmerie ihren Sitz hatte, ist mir nicht bekannt, doch sie waren auf jeden Fall in der Stadt.

Wir fuhren also von zuhause los, die Wendalinusstraße hinauf und dann Richtung Werschweiler, an der Tabakfabrik Marshall vorbei. Dort war ein reges Treiben im Gange, entweder wurde geplündert oder es ist ausgeräumt worden. Es standen viele Autos herum, und es wurde eifrig aufgeladen. Möglicherweise hielten sich dort noch zurückziehende Einheiten auf, ich weiß es nicht.

Wir zogen weiter und wurden auf dieser Strecke seltsamerweise von Jabos nicht behelligt. Über Werschweiler kamen wir nachmittags nach Dörrenbach. Am Maschinenschopp trafen wir auf die anderen Teile unserer Einheit. Die Fahrzeuge standen überall in der Nachbarschaft nahe an Gebäuden, die wenigstens ein bißchen Schutz nach oben boten. Dort bekam ich den Auftrag, mit einem Teil meines Funktrupps festzustellen, ob die Amerikaner bereits in Ottweiler eingedrungen sind. Wir fuhren also nach Ottweiler hinein.

In der Nähe des heutigen Fotohauses Klotz stellten wir unser Fahrzeug ab und gingen zu Fuß weiter in Richtung Illinger Straße. Dort kamen uns schon scharenweise zurückweichende Soldaten entgegen. Wir fragten, was los sei, und erhielten als Antwort, der Amerikaner stünde schon in Welschbach. Es könne nicht mehr lange dauern, bis er hier ist. Wir kehrten schnell nach Dörrenbach zurück und erstatteten Meldung.

Mittlerweile waren Marschbefehle eingetroffen, die besagten, wir sollten uns beim Dunkelwerden nach Krottelbach zurückzuziehen. Dort angekommen stellten wir unsere Fahrzeuge in Scheunen unter und versuchten, noch ein wenig zu schlafen, denn wir wollten morgens - bevor es hell wird - weiter, weil inzwischen bekannt war, daß der Amerikaner stellenweise schon rechts und links an uns vorbei war. Und wir hatten auch gehört, daß er oben auf dem Berg "Hoher Fels", da wo heute das Ausflugslokal steht, in Stellung gegangen war. Krottelbach lag im Tal, der Ami saß oben auf dem Berg. Als wir frühmorgens wegwollten, konnten wir nicht, weil der Volkssturmkommandant des Ortes alle Panzersperren hatte schließen lassen. Das war ein ganz schönes Trara, er wollte uns nicht rauslassen, er hatte die Befehlsgewalt, aber von Kriegsführung hatte er ja kaum Ahnung. Wir konnten mit unseren Geschützen den Ort nicht verteidigen, weil man Krottelbach gegen einen Gegner, der oben auf dem Berg sitzt, nicht verteidigen kann. Wir hatten gar kein Schußfeld, im Gegenteil, wenn wir zwei, drei Schüsse losgelassen hätten, wäre von dem Ort nichts mehr übriggeblieben. Der Herr Kommandant stand also vor unserer Kolonne, fuchtelte mit seiner Pistole in der Luft herum und versperrte uns den Weg. Er bemerkte allerdings nicht einen Landser unserer Einheit, der sich sich ihn schlich, ihn packte, hochhob und in einen Misthaufen warf. "So, da bleibst du drin, bis wir weg sind!" Wir öffneten die Panzersperren und suchten das Weite.

Wir durchquerten die Pfalz über Landstuhl nördlich von Kaiserslautern vorbei Richtung Germersheim - das war unsere Marschrichtung. Im Schutz der Nacht überquerten wir bei Germersheim über eine große Eisenbahnbrücke den Rhein. Auf der anderen Seite verloren wir unseren Schreibstubenwagen mit allen Wehrpässen. Als er die Brücke verlassen wollte, paßte der Fahrer einen Moment nicht auf, vielleicht konnte er in der Dunkelheit auch nicht richtig gesehen, so daß der Wagen die Böschung hinunterrutschte und im Wasser versank. Der Fahrer konnte sich retten, aber die Pässe waren weg.

Auf der Ostseite des Rheins - so hatte man uns gesagt - dort sollten die Wunderwaffen stehen. Wir hatten auch ein bißchen daran geglaubt. Als wir noch hier an der Saar waren, haben wir immer die V1 und V2 über uns hinwegzischen sehen, so daß wir uns sagten, da ist etwas in der Entwicklung, da tut sich was. Die Propaganda war immer ganz groß: Am Rhein wird die Front wieder aufgebaut, und da stehen die Wunderwaffen. Als wir über den Rhein sind, haben wir die Wunderwaffen gesehen: Das waren Volkssturmleute und weiß Gott was alles, ein zusammengewürfelter Haufen, aber keine eigentliche Front.

Und als wir das sahen, faßte unser neuer Oberleutnant, der Gollbach nach dessen Verwundung abgelöst hatte, einen Entschluß, der ihn vor ein Standgericht hätte bringen können. Er sagte zu uns: "Ich versuche Euch hier aus dem ganzen herauszubringen, ohne daß noch Verluste dabei entstehen." Von diesem Zeitpunkt an führten wir nur noch Feindbeobachtung durch, bauten pro forma unsere Geschütze auf. Und wenn die Amerikaner kamen, bauten wir sie schnell wieder ab und zogen genauso schnell weiter. Nach Germersheim wurden wir in keine Kämpfe mehr verwickelt.

Irgendwo im bayerischen Raum ist folgendes passiert: Wir standen dort in irgendeinem Ort um die Feldküche herum und faßten Verpflegung. Plötzlich fuhr ein Auto vor, in dem drei oder vier SS-Leute saßen. Sie fragten uns, ob sie etwas zu essen haben könnten. Wir gaben ihnen natürlich etwas ab. Ein Wachtmeister von uns, der dabeistand, hat dann ein paar Bemerkungen fallen lassen wie "Was soll das Ganze noch?" und so ähnlich. Die ließen sich nichts anmerken und fuhren weg. Eine halbe Stunde später waren sie wieder da, hatten zehn, zwölf Mann bei sich, alle bewaffnet. Wir standen immer noch an der Feldküche, da verhafteteten sie die Wachtmeister einfach aus unserem Kreis heraus, setzten ihn ins Auto und fuhren mit ihm weg. Wir meldeten unserem Batteriechef, was geschehen war. Er stellte sofort einen Trupp von dreißig Mann zusammen, ließ aufsitzen und fuhr ihnen nach. Ich war selbst nicht dabei. Sie mußten gar nicht weit fahren, da war auf einer Obstwiese neben der Straße ein Feldgericht aufgebaut. Dort wartete unser Wachtmeister auf seine Verurteilung. Unser Kompaniechef ging zu den SS-Leuten und sagte zu ihnen: "Dieser Mann gehört zu uns, den nehmen wir wieder mit." "Nein", widersprachen sie, "er bleibt hier. Er hat so komische Äußerungen gemacht." Unser Kompaniechef fuhr wieder zu uns zurück und gab Anweisungen. Unsere Geschütze wurden in Stellung gebracht und auf das Feldgericht ausgerichtet. Er rief daraufhin hinüber, sie sollten den Mann freigeben. Wenn nicht, würde er das Feuer eröffnen. Als sich drüben nichts tat, gab er den Befehl "Feuer frei", allerdings hatte er die Geschützbesatzungen angewiesen, über die Köpfe hinwegzuzielen. Wir gaben ein paar Schüsse ab, bis die drüben merkten, daß es uns ernst ist. Sie liefen wie die Hasen. Wir befreiten unseren Wachtmeister und fuhren weiter.

Irgendwo vor Salzburg überholten uns die Amerikaner, die über die Autobahn anrückten, ohne daß wir es merkten. Das war in einem Tal bei Thaisendorf, da haben die einfach auf uns gewartet und dann von drei Seiten auf uns losgeballert. Das war am 7. Mai 1945, ein Tag vor der Gesamtkapitulation. Hier gab es den letzten Todesfall in unserer Einheit. Ein Kamerad wurde vom Kotflügel eines Fahrzeugs heruntergeschossen. Mit sechs meiner Kameraden verließ ich das Schlachtfeld und verkroch mich auf einem Bauernhof oben in den Bergen. Wir alle trugen noch unsere Waffen, hatten aber die Fahrzeuge unten stehen lassen. Die Besitzerin des Bauernhofes bat uns zu bleiben, und das aus gutem Grund. Unten im Tal waren während des Kriesges viele Fremdarbeiter, hauptsächlich Polen, in der Landwirtschaft eingesetzt worden. Sie wurden dann von den Amerikanern befreit und zogen plündernd durch die Gegend. Sie stellten aber irgendwie fest, daß auf dem Hof Soldaten sind. Es kam niemand hinauf, allerdings auch kein Amerikaner. Der Amerikaner hat die Hauptstraße nicht verlassen. Er kam nicht in die Berge hinein oder in unwegsames Gelände, es gab nur diese herumziehenden Banden. Wir wollten natürlich auch nicht für immer dort bleiben, wir wollten nachhause, der Krieg war ja vorbei. Doch als wir gehen wollten, bat uns die Frau inständig, doch noch zu bleiben, auch wegen ihrer beiden Kinder. Wir blieben dann auch noch ein paar Tage, aber irgendwann verließen wir sie dann. Wir wanderten zurück auf die Hauptstraße, immer noch in Uniform und in voller Kriegsbemalung. Nur die Waffen hatten wir vorher im Wald versteckt.

Wir marschierten zurück wir bis nach Landshut, einige Tage lang an den Amerikanern vorbei. Man beachtete uns überhaupt nicht. Wir standen schließlich in Landshut mitten in der Stadt, als schließlich ein Jeep neben uns anhielt. Ein Soldat stieg aus und fragte: "Du Papier?" Wir hatten kein "Papier", also lud man uns auf den Jeep und fuhr uns vor die Stadt, wo auf einer Wiese ein großes Gefangenenlager lag.

So geriet ich in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Als ich man mich nach meinem Beruf oder speziellen Fähigkeiten fragte, gab ich an, ich könne gut zeichnen. Also durfte ich Schilder malen wie z.B. "Betreten verboten". So verbrachte ich einige Tage. Dann kam die Nachricht durch das Lager, daß alle Bergarbeiter, Forst- und Landwirte entlassen würden. Am nächsten Morgen meldete ich mich dann nicht mehr am Tor zum Schildermalen, sondern stellte mich in die Reihe derer, die entlassen werden sollten. Ich gab mich als landwirtschaftlicher Arbeiter aus, denn von Forst- und Bergarbeit hatte ich keine Ahnung. Ich wurde akzeptiert, bekam meine Papiere und war landwirtschaftlicher Arbeiter. Wie ich denen erzählen konnte, daß ich was von Landwirtschaft verstehe und wieso man mir das glaubte? Nun, ich hab denen eindringlich gesagt: "Das ist so!" Und man glaubte es. Sie konnten mir das Gegenteil nicht beweisen. Als Herkunftsort ließ ich Sulzbach eintragen. Von den Franzosen hieß es, sie würden alle, die von den Amis entlassen würden, einsammeln und in die Gruben schicken oder sonstwohin. Also sagte ich mir, Sulzbach gibt es in jeder Besatzungszone. Ich hatte also ein Entlassungspapier für alle drei Zonen.

An dem Morgen, an dem wir entlassen wurden, sollten wir nach Mannheim gefahren werden. Wir wurden auf Lastwagen verladen und abtransportiert. Aber nach etwa 10-12 Kilometern hielten wir in einem Wald plötzlich an. Der dunkelhäutige Fahrer öffnete die Klappe, und wir mußten absteigen. "Um Gottes willen, was passiert denn jetzt?" Es passierte gar nichts, der Mann schloß die Klappe wieder, stieg ein und fuhr ab - ohne uns. Ich nehme an, daß er genug Benzin bekommen hatte und nicht vor Ablauf von drei Tagen wieder zurückerwartet wurde. Also hat die Lkw-Besatzung das überschüssige Benzin wohl verhökert und sich ein paar schöne Tage gemacht. Und wir durften mal wieder laufen. Also wanderten wir. In den Städten, durch die wir kamen, zeigten wir unsere Entlassungspapiere vor und erhielten Urlaubsmarken und Verpflegung. Die Ämter stempelten unsere Papiere auf der Rückseite ab, und wir zogen weiter. Bei Mannheim wollten wir über den Rhein. Dazu benötigten wir einen Passierschein. Wir mußten uns erneut einer Entlausung unterziehen und erhielten das Papier über die "Mannheim Bridge". Der Posten sagte nur "Go home" (Geht heim).

Das taten wir dann auch - zu Fuß und bis nach St. Wendel, wo wir uns im St. Wendeler Rathaus meldeten. Das geschah am 12. Juni, wie ein Stempel in meinen Papieren zeigt. Ein Monat später - als die Franzosen von den Amerikanern unseren Landkreis übernahmen - mußten wir uns dann auch noch bei ihnen melden.

Zwei Tage später befand ich mich in der St. Wendeler Kaserne, wo ich für die Amis arbeiten durfte. Vierzehn Tage lang war ich da oben und putzte Gänge und Stuben, schälte Kartoffeln und trug Essen aus. Schlafen konnte ich zuhause, mußte mich aber jeden Morgen oben melden. Eine Entlohnung in Geld erfolgte nicht, dafür war das Essen frei. Und das schmeckte nicht einmal schlecht. Danach wurde ich von einer Dienststelle zu anderen weitergereicht. Bei Kreissparkasse St. Wendel, wo ich vor meinem Militärdienst gearbeitet hatte, konnte ich noch nicht anfangen, weil ich zuerst entnazifiziert werden mußte. Auftakt dazu bildete ein Fragebogen, den ich genau ausfüllen mußte.

"Sind Sie in der Partei?" Da konnte ich nicht viel hinschreiben, denn ich war im Jungvolk gewesen, und nur kurze Zeit in der HJ, bevor ich ich eingezogen wurde. Danach kam ich zum Reichsarbeitsdienst (RAD); dort wurden wir vormilitärisch ausgebildet. In einer Gärtnerei in Frankreich haben wir Bunker gebaut, Flughallen durch Bauten gesichert, Wälder gerodet, alles mögliche. Ein halbes Jahr ging das so. Danach wurden wir entlassen. Ich war gerade 14 Tage zuhause, als ich schon zum Militär eingezogen wurde. Man bildete mich zum Funker aus und schickte mich direkt nach Rußland. Ich hatte das Reiter-Sportabzeichen und kam deshalb zu einer berittenen Einheit. Dort gab es als Fortbewegungsmittel nur Pferde. Selbst der Funktrupp und der Fernmeldetrupp mit Pferden ausgestattet. Einem Packpferd wurden z.B. zwei Spulen aufgeladen, eine auf jeder Seite, die dann abgespult wurden. So verlegten wir etliche Kilometer Kabel. Je länger der Krieg allerdings dauerte, desto weniger Pferde hatten wir. Die Versorgung wurde nachher so extrem, daß wir für die Tiere nichts mehr zu fressen hatten. Es war schon schlimm.

Weil die meisten Fragen des Bogens nicht oder mit nein beantworten konnte, dauerte es bis Ende Oktober, bis ich wieder in der Sparkasse arbeiten durfte.

Von der Kaserne kam ich zur Firma Sick in Ottweiler, die zwischen St. Wendel und Niederlinxweiler Straßenbauarbeiten durchführte. Danach arbeitete ich drei oder vier Wochen als Beifahrer bei der Firma Klees in Bliesen, die Schweine transportierten - von Westfalen herrunter auf den Schlachthof in St. Wendel. Ich kann mich noch gut an die Lkws erinnern, die hatten einen Holvergaser.

Von dort kam ich zum Eisenbahnausbesserungswerk hier in St. Wendel. Zuerst arbeitete ich im Magazin; aber jemand aus der Verwaltung erkannte mich und sagte: "Du bist doch ein Büromann und keiner, der ins Magazin gehört." Schließlich landete ich in der Lohnbuchhaltung. Dort blieb ich, bis mein Entnazifizierungsantrag durch war, und durfte dann wieder bei meiner alten Arbeitsstelle anfangen."