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21. Jahrhundert -> 2013 Erleuchtung

Erleuchtung

 

Erleuchtung. Darum geht es an Pfingsten. Erleuchtung. Das ist Ihnen zu hochgeistig? Na gut, Durchblick tuts zur Not auch. Nicht unbedingt mehr wissen als vorher, aber mehr begreifen. Die Zusammenhänge erkennen. Hat nicht geklappt am letzten Wochenende? Trösten Sie sich, bei mir auch nicht.

 

Am Sonntag habe ich mir noch keine Gedanken drum gemacht – wie meistens. So ein Feiertag sollte immer zwei Tage dauern. Einer, um runterzukommen, einer, um zum Thema zu kommen.

 

Der Sonntag war lang, er fing um 5 Uhr an wie ein Tag nicht anfangen sollte, nämlich mit Aufstehen. Meine Frau war auf die verrückte Idee gekommen, mit ihrer Freundin Margret anläßlich deren kommenden 50sten den Jakobsweg zu laufen. Erst oben in Spanien quer, dann – ich hatte Kartenmaterial und einen Reiseführer und ein Deutsch-Spanisch-und-wieder-zurück-Taschenbuch besorgt – entschieden sich die beiden für die Süd-Nord-Alternative von Porto in Portugal hoch nach Norden in die Jakobsstadt irgendwo in der nordwestlichen Ecke der Iberischen Halbinsel. Die Vorbereitungen liefen an, Klamotten wurden besorgt, der individuelle Rücksack war auch bald zur Hand, die erste Übernachtung war gebucht, und der Termin für die Erteilung des Pilgersegens durch unseren Pfarrer stand auch schon phi-mal-Daumen fest, da zog sich Margret eine Fußverletzung zu. Das wars dann. Aber der Urlaub war geplant und geblockt und genehmigt, und ich hatte mich schon so darauf gefreut. Nein, ich wollte nicht mitfahren, ich wollte zuhause bleiben. Aber dann entschieden sich die beiden – als klar wurde, daß Margret dann wieder gehen konnte, wenn auch nicht weit -, doch zu fliegen, und der Wanderurlaub wurde zum Strandurlaub. Am Sonntagmorgen um viertel vor 9 sind sie ab Hahn geflogen und ich habe sie zwischen sechs und sieben Uhr dorthin gefahren – morgens, na klar. Flüge gehen immer zu unheiliger Zeit, hin früh morgens, rück am Nachmittag oder abends. Um viertel vor acht passierten sie die Piep-Zone (mit „ie“, nicht 2x“e“), na, diesen Durchgang, wo die Sicherheitsfrauen und –mannen mit den Detektoren feststellen, ob es an den richtigen Stellen piept. Piepts an den falschen Stellen, nimmt man den Detektor, haut auf ihm drum herum oder haut ihn solange wo gegen, bis es nicht mehr piept. Oder man läßt den zu Prüfenden die Schuhe ausziehen, der Odor vernebelt dann die Sinne, dann piepts nur noch an der richtigen Stelle. Sie passierten, strippten sich halber, Anne durfte auch die Schuhe ausziehen, ich winkte von der anderen Seite aus, worauf sie mich großzügig ignorierten. Dann verschwanden sie aut of sait, und ich war offiziell Strohwitwer. Auf der Rückfahrt nutzte ich das auch weidlich aus, in dem ich z.B. bei der Ankunft zuhause den leeren Cola-Becher vom MacDoof aufm Flugplatz einfach im Auto stehen ließ. Am Sonntag – kurz vor dem Rückwechsel zum halbwegs braven Ehemann – werde ich den Becher allerdings verschwinden lassen, sofern er nicht zwischenzeitlich von allein das Weite gesucht hat.

 

Der Sonntag wurde recht lang, aber er ging rum. Der Montag sollte vor Aktivitäten strotzen. So hatte ich das jedenfalls geplant. Und so kam es auch – ein Tag der Extreme, aber auch wieder ohne die große Erleuchtung. Aber ich habe ihn überlebt.

 

Pünktlich um kurz vor zehn Morgens stand ich – mit meinem Schirm bewaffnet – hinter der Basilika und wartete auf die obligatorischen Hottehü, die ab Dom bis zur Wendelskapelle trotten und das Straßenpflaster durch Ablagerungen chemisch verändern sollten. Allein, als ich dort war, war kein einziger Gaul zu sehen, nur die Nachfahren der ersten pferdelosen Benzinkutschen standen in der Gegend rum, blauen übel riechenden Rauch aus ihren Hinteröffnungen ausstoßend. Petrus ein paar Etagen höher hatte entweder einen schlechten Tag oder irgendetwas mißverstanden, denn statt der erwarteten Sonne gab es nur dicke graue Wolken, dafür aber jede Menge ergiebigen Regen. So fiel der erste Hauptpunkt des Tages in die Wasserpfützen, die reichlich die Straße zierten. Wie die anderen Besucher bestieg ich meine eigene Kutsche, die blaue ohne Pferde, und begab mich durch die Missionshausstraße zu der Stelle oberhalb der Kapelle, wo ein steiler Pfad den Wanderer zur Kapelle führt. Ein einsames Auto stand dort auf grüner Wiese und schaute mich mit trüben Lampen geselligkeitssuchend an; da wollte ich es nicht enttäuschen und stellte meine Mühle neben dran. Den Schirm schnappend und den Pfad hinuntergeschlendernd wurde ich plötzlich eines klappernden Geräusches gewahr. Oha, ein Pferd mit Reiter wars, das urplötzlich des Wegs daher kam, um die Ecke bog und auf mich zu. Ach, ich mag die Viecher nicht so sehr, die meisten stinken so furchtbar nach Pferd. Artig begrüßte ich die Reiterin, hoffend, daß mein Tonfall nicht arrogant klänge, weil ich innerlich die Nase dicht gemacht hatte, als das vierbeinige Huftier mich passierte. Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Schimmel war, es sah irgendwie grau aus; das könnte aber auch der Regen gewesen sein oder des Waldes absonderliches Licht, das erstmal durch die dicken Regenwolken und dann auch noch durch die dicken Zweige hindurchmußte, ehe es an Pferdes Rücken sich reflektieren konnte, um schließlich in meinen Augen zu landen. Pferd und Reiterin gewannen Vorsprung, was logisch ist, schließlich hatten sie zusammen sechs Beine und ich nur zwei. Aber unten am Ausgang des Waldes holte ich sie ein, denn Madame Hottehü wollte nicht über die Brücke des Bosenbachs. Der war etwas angeschwollen durch die ergiebigen Regengüsse der letzten Tage und plätscherte nicht hell wie gewohnt, sondern gurgelte in rotem Braunton (alternativ in braunem Rotton). Für mich gings auch nicht weiter, denn der Gaul stellte sich im wahrsten Sinne des Wortes quer. Die Reiterin stieg ab und sprach mich an, und es stellte sich heraus, daß ich doch nicht so unnütz war, wie die Leute manchmal sagen. Denn ich konnte immerhin als Leitfigur dienen. Doch auch wenn ich dumm genug war, auf der Brücke den reißenden Bach zu überqueren, denn hieß das noch lange nicht, daß la Pferd das auch machen würde. Die Viecher denken nämlich gründlich darüber nach, bevor sie so was tun, mit den großen Köpfen auch kein Wunder. Aber als sie merkte, daß ich gut drüber kam, klapperte sie mir nach. Diese Größe hat natürlich auch Nachteile, bedeutet nämlich für das Tier, daß es auf die Wiese muß und nicht in die Kapelle darf.

 

Diese umstreifte ich ein paar Minuten und versuchte, das Gebäu auf mich wirken zu lassen. Schließlich habe ich noch ein paar knifflige Fragen und so gut wie keine Antworten darauf, und so dachte ich, vielleicht ist mir der genus loci, der Geist des Ortes, hold. Allerdings kam ich nicht in diesen Genus(s) und trollte mich also in die Kapelle, um der heiligen Pfingstmontagsmesse dorten beizuwohnen. Gleich sah ich links vorn das Schild mit dem Allianzwappen von Franz Ernst von Hame und der Catharina d’Hauzeur (sprich: doh-söörr), entstanden im Auftrag der Kirche, entworfen von Gerd Schmitt, mit dem einzigen Heraldiker in unserer Kante, dem man ein solches Unterfangen gefahrlos zutrauen kann, und umgesetzt von Niko Leiss aus Amt Schaumburg. Interessant, daß die Kirche damit ein Versprechen einlöst, daß sie vor 241 Jahren gab, zunächst auch einlöste, aber später durch Unwissenheit wieder „aus“löste (mir fiel kein besseres Wort ein), wenn auch nicht aus Absicht, mehr aus Unwissenheit. Besagter Franz Ernst hatte nämlich 1755 als Grundstückseigentümer die Kapelle bauen und den Brunnen herrichten lassen. Als seine Nachkommen 1772 - lange nach seinem Tod – Kapelle und Brunnen und die beiden Klausen – die eine hier bei Wendelsbrunnen, die andere drüben auf dem heutigen Golfplatz bei der St. Annenkapelle (nicht die auf dem Wallesweilerhof, die ist noch ganz neu, also keine 200 Jahre alt) – an die Pfarrei verhökerten, verpflichtete diese sich, - Moment, ich suche grad schnell den genauen Wortlaut raus – „daß das Von Hamische Familien wappen auf dem Altar stets erhalten werden solle“. Nun konnten Sie zwar die letzten Jahre (gezählt zweistellig mit mindestens einer 8 vorn als erste Ziffer) die Kapelle besuchen und nach dem Wappen suchen, aber gefunden hätten sie es nicht (mehr). Dabei war das Schild die ganze Zeit da, oben überm Altar, ein rundes Teil, mit Sternchen begränzt, darin auf blauem Hintergrund irgendso ein Tier, das auf seinen Hinterpfoten steht (tschuldigung, Gerd, ich weiß, ich sollte es besser wissen, nachdem ich deinen Vortrag schon mindestens dreimal gehört habe). Dort saß mal das von Hamische Wappen, heute sieht man dort das der hiesigen Pfarrei. Aber dafür haben wir mit der neuen Tafel das von Hamische Wappen (inkl. Eheholde) schöner und größer als je zuvor. Und falls sich mal ein von Hamischer Nachkomme ins Wendelstal verirrt, sind wir gerüstet.

 

Der Gottesdienst in der Kapelle war mal was anderes. Der Organist saß rechts (heraldisch links) neben dem Altar, der den Chor der Kapelle dominiert. Pastor, Kaplan und die Schar der Meßdiener tauchten links hinter dem Altar auf (Eingeweihte wissen, daß sich dort eine kleine Tür in der dicken Mauer befindet, die in die rückwärtig gelegene Miniatursakristei führt. Ich vermute mal stark, daß mindestens zwei Männer mal froh gewesen sein konnten, daß diese Tür dort vorhanden ist. Wir wissen zwar nicht, wo sich die beiden Eremiten Makarius und Henrich aufhielten, als im Januar 1794 die Franzosen kamen, um die Kapelle zu verwüsten, aber wenn sie sich gerade in der Kapelle aufhielten, war das der einzige Weg hier raus).

 

So richtig gemütlich ist es in der Kapelle natürlich nicht, grad nicht bei dem Suddelwetter, das wir zur Zeit haben. Kühl ist sie wegen ihrer dicken Mauern und natürlich dem Umstand geschuldet, daß es hier – anders als in der Basilika – keine Heizung gibt, und feucht ist sie, wenn es draußen regnet und die Tür aufsteht. Und die stand während der ganzen Messe auf, weil immer wieder mal jemand reinkam oder einfach auch nur in der Tür stehen blieb. Und daß die Besucher des Gottesdienstes naß geworden waren, als sie zur Kapelle kamen, trug auch nicht dazu bei, daß es hier drin gemütlich trocken bleiben konnte. Kalt und klamm. Aber die Atmosphäre stimmte. Es war ein schöner Gottesdienst mit Liedern, von denen ich die meisten kannte und mitsingen konnte. Das macht bei mir die halbe Miete aus. Jemand sagte mir nachher, daß ihn gestört habe, daß bei der Wandlung einer stehen geblieben wäre, statt sich katholisch-vorschriftsmäßig auf die Knie niederzulassen. Also mich hat das nie gestört. Von dort, wo ich stand, hatte ich niemanden gesehen, der während der Wandlung stand. Vielleicht sieht man das nur von weiter hinten aus.

 

Gefallen hat mir, als der Herr Pastor während der Predigt, in der es um die ökologische, vielleicht auch ökumenische - aber definitiv nicht die ökonomische - Großwetterlage ging, sagte, der Herr möge uns vor heißen Sommern bewahren, und mein Nachbar halb laut murmelte, aber ab und an könne er schon mal ne Ausnahme machen. Ansonsten habe ich die Zeit der Predigt ausgenutzt, mir den Altar und vor allem die drei Heiligenfiguren genau zu betrachten, die Ende des 18. Jahrhunderts der Eremit Heinrich Schmitz aus eigenen Mitteln wieder herrichten ließ. Schmitz kaufte kurz nach 1800 die Klause, ebenfalls aus eigenen Mitteln. Man dankte ihm das so, daß man ihm ein ewiges Jahrgedächtnis verweigerte (Argument: er soll erst mal seine Schulden bei der Pfarrei bezahlen) und nach seinem Tod unter nicht geklärten Umständen die Klause an sich zog. Eine Urkunde gibt es darüber nicht. Ich habe mich mit den Eremiten der Kapelle ein wenig beschäftigt und deshalb auch am Montagmorgen eine Messe für die verstorbenen lesen lassen.

 

Nach der Messe zeigte mir Gerd Schmitt das neue angefertigte Metallschild, das vorn an der Garage im Hang aufgehängt wurde (nicht gerade ideal, das siehts nämlich keiner, außerdem ist es ein bißchen klein geraten, und über einzelne Aspekte des Inhalts ließe sich im Detail auch diskutieren, z.B. über die Jahreszahl „1794“, die sich aus dem Chronogramm am Baldachin über dem Brunnen ergeben könnte, je nachdem, wie man es liest).

 

Als wir durch das Tälchen Richtung Bosenbach schlenderten, kamen wir an einem dicken BMW mit Birkenfelder Nummer vorbei, der beim Parken auf die klitschnasse Wiese geraten war und aus eigener Kraft nicht wieder rauskam. Der linke Hinterreifen drehte durch. Es war schon eine noble Karosse, wie ich feststellte, als ich einen Blick ins Innere erhaschte, aber halt eben ein BM-Wuchtig. Die dicken Reifen mögen auf der Straße gut sein, aber dann sollte man mit so ner Karre möglichst auch dort bleiben. Die Fahrerin war ganz verzweifelt, weils nur noch rückwärts, aber nicht mehr vorwärts ging. Ich hatte die Idee, das Fahrzeug, das in ziemlich spitzem Winkel zum Weg stand, parallel dazu zu bringen, damit eins der Hinterräder auf den Weg käme. Also dirigierte ich sie vor und zurück, gnadenlos vorwärts und rückwärts. Jemand riet ihr, den 2. Gang einzulegen, was aber bei ner Automatik nicht gut geht. Irgendwann stand sie fast parallel, als unser Kaplan meinte, jetzt müsse es doch gehen. Und so stellten wir uns zu dritt hinter das Heck, links ich, in der Mitte der Kaplan, rechts der Organist, und schoben. Und so schafften es ein Geistlicher, ein Künstler in geistlichen Diensten und ein Pharisäer, die Kiste aus dem Dreck zu hieven. Natürlich für Gotteslohn. Hm, die beiden anderen. Mich belohnte der Herr auf eigene Weise. Er ließ nämlich, kurz bevor die Karre Fahrt aufnahm, das linke Rad noch einmal durchdrehen, was mich von oben bis unten mit Schlamm einsaute. Der Fluch der guten Tat. Oder so. Ich fluchte wie ein Rohrspatz – vor allem auf die blöden Pälzer, bis mich mein Begleiter Gerd darauf hinwies, daß Birkenfeld nun wirklich nicht in der Pfalz lag. Stimmt. Scheinbar hat da jemand die Seiten getauscht. Ich fuhr nach hause und stieg mit Schuhen, Hose und Jacke unter die Dusche. Die Flecken sind fast alle rausgegangen.

 

Am Dienstag nach Pfingsten im Jahre des Herrn 2013

 

 

 

 

 

 

PS: Das richtig dicke Ende kam dann am Nachmittag, als ich eine Domführung hatte. Wir waren zusammen gut 30 Personen. Am Ende wollte ich wie immer die Kirchenmäuse erklären, konnte mich aber wegen der Personenzahl nicht auf die Treppe stellen, sondern stieg bis auf die Plattform vorm Tabernakel hoch. Als ich mich dort hinknien wollte, strapazierte ich die Reißfestigkeit der Nahe meiner Hose derart, daß diese aufgab. Es gab ein reißendes Geräusch, und ich stand unten im Freien, gnädig verdeckt durch meinen langen Mantel. Aber die Leute schauten mich vorwurfsvoll an, und eine Dame meinte: „Können Sie sich nicht beherrschen?“

 

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