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20. Jahrhundert -> 10.01.1941 Als die Nazis das Missionshaus besetzten

‚Schwarzen Freitag' auf Altem Hof erlebt

 

Bruder Facundus letzter Zeuge der Gestapo-Aktion vor 50 Jahren

 

  Vor 50 Jahren, am 10. Januar 1941, brach das Unheil über die Kommunität der Steyler Missionare herein. Das St. Wendeler Missionshaus wurde geschlossen, die Mehrzahl der Patres und Brudermissionare deportiert. Jener Wintertag im Januar 1941 ist als „schwarzer Tag" in die Geschichte des Missionshauses eingegangen. Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) der nationalsozialistischen Regierung, die die Deportierung der Missionare organisiert und angeordnet hatte, vertrieb die Patres und Ordensbrüder, die in 43 Jahren — seit 1898 — hier in St. Wendel eine großartige Aufbauleistung vollbracht hatten.

 

  Nur ein einziger Zeuge der Zeit, der in seinem 82. Lebensjahr stehende Bruder Facundus Schlegel, kann über die Ereignisse des 10. Januar 1941 berichten. Alle anderen damaligen Ordensangehörigen des St. Wendeler Missionshauses, die vor einem halben Jahrhundert die Schmach der Vertreibung erdulden mußten, sind als Sanitätssoldaten im Krieg gefallen oder inzwischen verstorben. Bruder Facundus Schlegel, der seit 1928 in St. Wendel lebt, erinnert sich genau an jenen 10. Januar, einen der schmerzlichsten Tage in seinem langen Leben.

 

  Am Morgen dieses Tages wurden das Haus und die Ökonomiegebäude (Alter Hof) von Mitgliedern der Gestapo beschlagnahmt. Die Verfügung der Geheimen Staatspolizei, die von einem Dr. Hörner unterschrieben ist und das Datum vom 7. Januar 1941 trägt, führte in ihrem letzten Abschnitt den Grund für die Beschlagnahme an: „Die Fortführung der Niederlassung bedeutet eine Gefahr für die Sicherheit und den Bestand des Staates."

 

  Die etwa 25-30 Sicherheitsbeamten der Geheimen Staatspolizei waren gegen 9.30 Uhr in drei Omnibussen angereist. Alle waren in Zivilkleidung. Nur der Chef der Gruppe, ein Mann mit Namen Söller, war in Uniform. Sofort wurden alle Ein- beziehungsweise Ausgänge des Missionshauses besetzt. Der damalige Provinzial, Pater Gerhard Breuer SVD, und der Rektor des Hauses, Pater Josef Remke, wurden in ein Zimmer nahe der Pforte beordert. SSMann Söller las die Verfügung der Staatspolizeistelle Saarbrücken vor und übergab sie danach dem Provinzial. Dieser mußte den Empfang schriftlich bestätigen.

 

  Bruder Facundus Schlegel erlebte den „schwarzen Freitag" auf dem Alten Hof an der Straße nach Niederkirchen. Nach seiner Erinnerung war es etwas nach halb zehn, als die Brudermissionare und die Mitarbeiter der Ökonomie vor der Kapelle des heutigen Wendalinushofes zusammengerufen wurden. Den Ordensleuten wurde mitgeteilt, daß ihr Missionshaus wegen Staatsfeindlichkeit beschlagnahmt sei und daß die Ordensangehörigen unverzüglich ihre persönlichen Sachen packen sollten. Sie alle seien aus dem Saarland und der Pfalz, dem damaligen Gau Westmark, ausgewiesen. Auch wurde ihnen verboten, die Regierungsbezirke Koblenz und Trier zu betreten. Die Ordensbrüder schauten einander fassungslos an und taten dann, wie ihnen befohlen worden war."

 

  Nach dem Packen wurden allen die Koffer und Schachteln durchsucht, strenger als an einer Zollgrenze, erinnert sich Bruder Facundus. Gegen 14.30 Uhr kam ein Omnibus zum Wendalinushof. Die Brudermissionare mußten einsteigen, nachdem sie ihre wenigen Habseligkeiten verladen hatten. Als der Omnibus an das neue Missionshaus auf dem Atzenhübel kam, sahen die Insassen dieses ersten Busses, daß dort noch zwei weitere Busse standen. Beide waren schon mit Patres und Ordensbrüdern besetzt. Etwa 60 Patres und Brüder waren es insgesamt, die mit den etwa 30 Gestapo-Leuten in den drei Bussen untergebracht waren. Um 15.15 Uhr setzten sich die Fahrzeuge Richtung St. Wendel in Bewegung.

 

  Bruder Facundus Schlegel konnte seinen Freunden und geistlichen Mitbrüdern nur mit Wehmut nachschauen. Er selbst und sechs andere Brudermissionare waren am Morgen des 10. Januar von den politischen Machthabern auf der Stelle dienstverpflichtet worden, um die vielen Milchkühe und Schweine zu versorgen. Auch wurde ihnen aufgetragen, im Frühjahr die großen Felder zu bestellen. Da wegen der Autarkiebestrebungen der Regierung und der späteren Seeblockade nur noch wenige Lebensmittel ins Land kamen, war die intensive Landwirtschaft des Hofes von großer Bedeutung.

 

  Auch der Rektor des Missionshauses, Pater Josef Remke, der Internatsleiter, Pater Heinrich Frings, und der Chef der landwirtschaftlichen und handwerklichen Betriebe, Pater Becker, mußten vorläufig in St. Wendel bleiben.

 

  Bruder Facundus Schlegel und fünf andere Ordensbrüder besorgten die umfang reiche Landwirtschaft bis zum Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in St. Wendel am 19. März 1945. An diesem Tag kamen die Amerikaner Der weitbekannte Rinderzüchter ist heute das einzige im St. Wendeler Missionshaus lebende Mitglied der ehemaligen Hausgemeinschaft, das die „braune Herrschaft" auf dein Berg vor der Stadt vom ersten bis zum letzten Tag mitgemacht hat.

 

  Er erinnert sich, daß die wenigen Leute, die an jenem Freitagnachmittag (10. Jan. 41) vor 50 Jahren in der Missionshauskirche zur Beichte waren, nicht vor der Abfahrt der drei Busse in die Stadt zurückkehren durften. Die Sicherheitsleute der Gestapo waren sich wohl klar darüber, daß die Beschlagnahme des mit der saarländischen Bevölkerung so eng und freundschaftlich verbundenen Missionshauses in der katholischen Bevölkerung erheblichen Unwillen auslösen würde. In der Tat verbreitete sich an jenem Abend die Kunde von der Deportation der Missionare wie ein Lauffeuer durch das St. Wendeler Land.

 

  Bruder Facundus, der den überstürzten Abzug der NSDAPLeute am 17. und 18. März 1945 noch in bester Erinnerung hat, ist heute noch empört über die Briefzensur, die über das Missionshaus und seine wenigen zwangsverpflichteten Bewohner am 10. Januar verhängt worden war. Jeder hereinkommende Brief wurde von dem nationalsozialistischen Verwalter geöffnet und gelesen. Die Kontrolle war perfekt. Die in der Landwirtschaft des Wendalinushofes arbeitenden Brüder und Ökonom Pater Bekker erhielten während der ersten sechs Monate ihre Zwangsverpflichtung keinen Pfennig Geld als Entlohnung für ihre Arbeit. Wenn jemand einmal in die Stadt gehen wollte, um kleine persönliche Besorgungen zu tätigen, mußte er dies dem Verwalter melden und um eine Genehmigung nachsuchen.

 

  Wie Bruder Facundus und die anderen zwangsverpflichteten Ordensleute Mitte Januar auf Umwegen erfuhren, waren die etwa 60 Patres und Brüder am Abend des 10. Januar gegen 23 Uhr in St. Augustin bei Bonn in der dortigen Niederlassung der Steyler Missionare „abgeliefert" worden. Die meisten Verbannten, die vor 50 Jahren ihre Wirkungsstätten in St. Wendel verlassen mußten, haben die Stätte ihrer langjährigen segensreichen Tätigkeit nach Beendigung des Krieges 1945 nicht wiedersehen können. Viele fielen im Krieg, andere gingen in ausländische Missionsstationen in verschiedenen Erdteilen.

 

  Der 10. Januar 1941 war einer der Höhepunkte in den jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen der nationalsozialistischen Regierung und der katholischen Kirche. Die politischen Leiter der NSDAP hatten die Klöster und die katholischen Schulen und ihre Lehrer ganz richtig als Widerstandsplätze gegen das NS-Regime und seine Ideologie erkannt..

 

  Die Spannungen zwischen Staat und Kirche waren für die Patres schon bald zu spüren, nachdem am 1. März 1935 das damalige Saargebiet wieder an das Deutsche Reich rückgegliedert worden war. Schon im Sommer 1935 war deutlich geworden, daß der von den Nationalsozialisten regierte Staat die Schulen in der Verantwortung von Religionsgesellschaften nicht dulden wollte. Ein erster Höhepunkt in den Auseinandersetzungen zwischen der nationalsozialistischen Führung und den Patres der Steyler Missionsgesellschaft wurde für jedermann erkennbar, als die damalige Saarbrücker Zeitung in ihrer Samstagausgabe Nr. 206 am 31. Juli 1937 einen umfangreichen Leitartikel veröffentlichte mit der Unterzeile: Gauleiter Bürckel enthüllt das verbrecherische Komplott geistlicher Staatsfeinde in St. Wendel.

 

  Die folgende Ausgabe vom 2. August 1937 brachte einen haßerfüllten Kommentar unter der Überschrift „Staat und Kirche". In diesem Artikel wurde den Patres des St. Wendeler Missionshauses schon angedeutet, was auf sie zukommen sollte. Der Kommentar wörtlich: „Es ist aufs innigste zu wünschen, daß nun endlich auch einmal die Faust des nationalsozialistischen Reiches unerbittlich in Erscheinung tritt."

 

  Am Jahresanfang 1941 — vor einem halben Jahrhundert — war es dann soweit. Die Faust der Nationalsozialisten trat unerbittlich in Erscheinung. Nach dem Sieg über Polen, dem Einmarsch deutscher Truppen in Dänemark und Norwegen und nach dem Krieg gegen Frankreich, nach der diesem Krieg vorausgegangenen Besetzung Hollands, großer Teile Belgiens und des Großherzogtums Luxemburg fühlten sich die Nationalsozialisten auf der Höhe ihrer Macht. Nun konnte zum Schlag gegen einen der inneren Feinde — die katholische Kirche — ausgeholt werden.

 

  Als die Nationalsozialisten Hals über Kopf am 17. und 18. März 1945 das St. Wendeler Missionshaus verließen, nahmen sie alles mit, was an ihre mehr als vier Jahre dauernde Herrschaft auf dem „heiligen Berg" erinnern könnte. Nur ein Dokument wurde offensichtlich in der großen Eile vergessen: Ein Bauplan, der die Missionshauskirche als Hallenschwimmbad zeigt. Zum Umbau des vielbesuchten Gotteshauses kam es jedoch nicht.

 

  Außer diesem Bauplan, der Verfügung der Geheimen Staatspolizei vom 7. Januar und einigen gehässigen Zeitungsartikeln erinnert heute nichts mehr an die Zeit des „Tausendjährigen Reiches" im St. Wendeler Missionshaus. Nur Bruder Facundus Schlegel erinnert sich noch gut, aber recht ungern an den Überfall auf das Haus am 10. Januar 1941 und an die würdelose Behandlung der wenigen zwangsverpflichteten Mitbrüder in der Zeit der Besetzung bis zum 18. März 1945.

 

Quelle: Saarbrücker Zeitung, Nr. 20. Donnerstag, 24. Januar 1991.

 

 

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