Schriftzug
19. Jahrhundert -> 1833 Doch kein Freispruch für die Schmuggler von Grügelborn und Reitscheid

In seinem Buch „Die Keller’sche Gesellschaft“ über die Unruhen von 1832 im Fürstenthum Lichtenberg und ihre gerichtliche Aufarbeitung geht Franz-Josef Kockler auf Seite 74 auch auf das sog. „Schmugglerurteil“ vom 14. April 1832 ein.

Da einer der beteiligten „Schmuggler“ über ein paar Ecken mit mir verwandt ist, habe ich vor ein paar Jahren dazu recherchiert und im Landesarchiv Saarbrücken dazu diesen Bittbrief als Abschriftgefunden [
Quelle: Landesarchiv Saarbrücken, Bestand 382 Nr. 414, Zollvergehen, Seite 43-46]:

„Reitscheid, den 5. September 1833.

Durchlauchtigster Herzog

Das unglücklichste Ereigniß, was nur immer den Frieden und das Glück sorgloser Menschen trüben kann, hat bereits seit einem Jahre die Ruhe und den Frieden von vier Familien gestört. Fünf Glieder derselben – worunter ein Vater vier Söhne – waren beschuldigt, Zollvergehen unter erschwerenden Umständen verübt zu haben, weil steuerpflichtige Gegenstände „einzuschwärzen“ gesucht und die von den Zollbeamten konfiszierten Waaren alsbald mittelst Zusammenrottung und vorgeblicher theilweiser Bewaffnung wieder genommen haben sollten. – Nach einer 22-wöchentlichen Gefangenschaft wurden die fünf Beschuldigten in Erster Instanz von der gegen sie gerichteten Klage vollkommen entbunden, dann aber auf eingelegte Appellation hin in Zweiter Instanz verurtheilt;

Jacob Becker

zu 3 jähriger Gefängnisstrafe

Michel Becker

zu halbjähriger Gefängnisstrafe,

Jacob Kirsch,
Jacob Becker,
Sohn von Anton,
Peter Geiger

zu halbjähriger Gefängnisstrafe, 48 Thler Geldstrafe oder 76 Tage Gefängnisbuße, zu 23 Gulden Confiscation und zwölf Thaler einfacher Beträge der Gefälle, sämmtlich solidarisch in die Kosten


So hart diese Strafen erscheinen, und so viele derselben immer cumulirt sein mögen,- von den Verurtheilten wurde dieser Act der Gerechtigkeitspflege mit eben der hohen Achtung für die Gewissenhaftigkeit der Richter selbst hingenommen, als dies bei dem ersten freisprechenden Urtheile der Fall gewesen war. Die Thatsache - dass drei Richter das "unschuldig"aussprachen, während andere drei Richter das "schuldig" erkannten - konnte bei ihnen nur in sofern traurige Empfindungen wecken, als sie, – Menschen von geringer Bildung, niederer Herkunft, von beschränkten Begriffen – einer Strafe unterworfen wurden, über deren Anwendbarkeit sechs Männer - sämtlich von hoher Bildung, großen wissenschaftlichen Kenntnissen und vorherrschendem Talente - nach ihren juristischen Ansichten in zwei gleiche Hälften geteilt sind, einer Strafe, wovon die Rechtmäßigkeit aber nicht mehr dargethan ist als die Unrechtmäßigkeit erwiesen ist. Nicht allein, dass überhaupt die Frage, ob ein Zollvergehen möglich gewesen, für und gegen entschieden worden - die Hauptfrage im vorliegenden Falle ob der Begriff der Rebellion nach Art. 209 des Code Penal sich construiren lasse, da doch Rebellion nur an prepesés des douances (Mauth Offiziere) und überhaupt nur an Beamten verübt werden kann, deren Bestimmung es ist, die Gesetze, Urteile und Befehle der Verwaltung und Justiz zum Vollzug zu bringen, wohin zum Beispiel Militair, Gensdarmerie, Huissiers gehören, und ob ein gemeiner Mauthbeamter in diese Cathegorie zu rechnen sei oder nicht, ebenfalls zum Nachteil der Petenten entschieden, ist eine zwischen den angesehensten französischen Rechtslehrern, wohin Carnot, Carré und Legraverend gehören, streitige Frage.

In einem Rechtsstreite der Art (worin demnach alle Behauptungen contraversiren), unterlagen die Inculpaten [Angeklagten]. Wenn dort die Rechtsfrage mit ebenso viel Grund für als gegen den Beklagten hätte unterstützt werden können - und wenn die Entscheidung für die ein oder andere Ansicht am Ende das Werk des Menschenverstandes ist, wo es von dem sehr festen Anhaltspunkte in das der bloßen Speculation übergeht – dann möchte es nicht am unrechten Orte sein vor dem Throne höchst derselben, daß sie das Recht im Staate mit dem ewig und unwandelbaren Rechte in der Menschenbrust in Einklang zu setzen sich bestreben, die unschuldige Handlungsweise der Beschuldigten zu berühren.

Nach einer Ansicht, die zur Zeit der Tat die herrschende Ansicht war, übertraten sie kein Gesetz, wenn sie gegen die Zollverordnung sich verfehlten, – wenn sie auch nicht selbst diese Ansicht zu prüfen vermochten, so schenken sie ihr doch Glauben, – theils weil sie großes Ansehen behauptete, theils weil diese Ansicht mit ihren Wünschen und dem herrschenden Volksglauben, dass es keine Sünde sei, den Zoll zu umgehen, concidirte [übereinstimmte]. So - und weil nach bekannter Erfahrung jedes neue Gesetz, welches der Willkür der Bürger hinderlich in den Weg tritt, zu einem Kampfe gegen das Gesetz aufzufordern scheint – kam es, dass die Bittsteller versuchten, ihren Bedarf an ausländischen Waaren unverzagt über die Grenze zu bringen. Indem aber der Zollbeamte dieselben confiscirte, schien er ein unerlaubtes Hinderniss ohne gesetzliche Befugnis in den Weg zu legen. Er hatte widerrechtlich ihr Eigentum weggenommen.

Dieses wiederzugewinnen, reizte den jugendlichen Unternehmungsgeist und war ein natürliches und wie sie glaubten unschuldiges, kein strafbares Mittel, sich vor Beeinträchtigung zu wahren.

Die ehrfurchtsvollen Bittsteller waren Jacob und Michel Becker, die beide die ältesten unter sieben Geschwistern sind,
wovon Jakob Kirch seine Familie von Frau und zwei kleinen Kindern nämlich durch sein Gewerb als Schuster erhält,
wovon Jacob Becker II als einziger Sohn einen Vater von 60 Jahren und eine sieche Mutter durch sein Gewerb als Maurer kümmerlich durchbringt
wovon Peter Geiger als ältester Bruder von sieben unerzogenen Kindern die schwersten Pflichten willig erfüllt.

Die Bittsteller, obgleich arm ohne Unterschied, aber doch fromm und redlich, sind ruhige und friedfertige Leute, die sich noch nie der mindesten Gesetzesübertretung schuldig gemacht hatten.
Die Bittsteller, welche vor ihrem Gewissen nicht die mindeste Schuld, wohl aber ihrem Verstande einen jugendlichen Streich zu verantworten haben – die seit 22 Wochen im Kerker ihrer Freiheit und ihrer Lebensbedürfnisse beraubt waren – sie scheuen die Entfernung nicht, welche leider Eure herzogliche Durchlaucht vom Fürstenthum Lichtenberg trennt.

Verurteilt zu Gefängnisstrafe, die sie in der unverdorbenen Jugend für lange in die Gesellschaft gewöhnlicher Verbrecher führen würde, verurteilt zu Geldstrafen, die ihr ganzes Vermögen als Opfer fordern würden, schützt sie von dem verzweifelten Gedanken physischer und moralischer Vernichtung nur noch die letzte Hoffnung, dass ein gnädiger Fürst mit landesväterlichen Gesinnungen den Thron seiner Väter zitiere, der durch geneigtester Gewähr der ehrfurchtsvollen Bitte um Erlass der ausgesprochenen Strafen einzig Hülfe zu gewähren vermag, wo schauerlich Elend an der Hütte pocht.

In tiefster Ehrfurcht verharren
Ew. Herzogl. Durchlaucht
ergebene
Peter Geiger. Michel Becker.
Jacob Becker. Jacob Becker.
Jacob Kirch Hand X Zeig“

Also wurde der erste Freispruch der fünf, über den Kockler schreibt, später (August 1833) wieder kassiert und durch einen Schuldspruch ersetzt.

Denn im September 1833 saßen die fünf immer noch (oder schon wieder) im Gefängnis.
Diese Abschrift befindet sich in den Akten des Appelations-Gerichts zu St. Wendel, weil das herzögliche Ministerium sie am 1. Oktober 1833 dorthin sandte „zur Abgabe ihres Gutachtens über die Zuläßigkeit dieses Gesuchs.“

Wie das ausging, schaue ich mir bei meinem nächsten Besuch im Landesarchiv an.

Bene vale.

Roland Geiger

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