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Verweigerte Ostereier und skandalträchtige Prozessionen

von Dr. Margarete Stitz, St. Wendel

 

Aus alten Visitationsprotokollen von St. Wendel und den Pfarreien im Umfeld der Abtei Tholey

 

Die Akten bischöflicher Visitationen sind zwar nicht in erster Linie eine Quelle für Familienforscher, geben aber manchen Aufschluss über die Lebensverhältnisse in den einzelnen Orten. Wenn bestimmte Personen genannt sind, handelt es sich meistens um Rügen. Mir ist aber auch eine Ausnahme begegnet: Ein 1770 verstorbener junger Mann aus Theley hat die Kirche reich mit Stiftungen bedacht. Leider verschweigt das Visitationsprotokoll seinen Namen.

 

Im Landeshauptarchiv Koblenz und vor allem im Bistumsarchiv Trier (mit Mainz und Speyer hatte ich bisher nicht zu tun) finden sich Visitationsakten aus der Zeit seit 1569, die heute als Quelle viel zu wenig genutzt werden, weil die meist lateinische Sprache den Zugang oft unmöglich macht. Die Texte sind im Bistum Trier sogar bis 1918 lateinisch. (Ich bringe aber im Folgenden Lateinisches immer in Übersetzung.)

 

Meine Ausführungen betreffen die Pfarreien St. Wendel und der Orte, die eine Beziehung zur Abtei Tholey haben, so, wie sie in den Visitationslisten des Jahres 1569 genannt sind. Damals führte Erzbischof Jakob III. von Eltz nach dem Konzil von Trient eine allgemeine Visitation des ganzen Erzbistums durch. St. Wendel, Tholey, Thalexweiler, Marpingen, Bliesen, Theley, Hasborn, Kastel, Hermeskeil, Bleiderdingen (heute: Gemeinde Hoppstädten-Weiersbach) und im 18. Jahrhundert auch noch Freisen gehörten zum Dekanat Wadrill, das im Süden bis St. Wendel reichte, und teilweise auch zum lothringischen und seit 1766 französischen Amt Schaumburg, Bettingen dagegen und Roden (Saarlouis-R.) zum Dekanat Merzig. In Hasborn war schon im 14. Jahrhundert der Erzbischof von Trier als Kurfürst ebenso der weltliche Herr, in Theley erst nach 1778, weil es vorher unter Lothringen bzw. Frankreich und Kurtrier aufgeteilt war. Beide Dörfer hatten von 1569 bis 1691 denselben Pfarrer und wurden auch 1624 gemeinsam visitiert. Nur für diese Orte liegen auch schon Protokolle aus der Zeit von 1582 bis 1601 vor, weitgehend in einem Deutsch, das nicht immer leicht zu lesen ist.

 

Die hier betrachtete Zeit endet im Allgemeinen mit dem 18. Jahrhundert.

 

Visitationen – Visitatoren – Protokolle

 

Für die Erzdiözese Trier sind Visitationen schon im 10. Jahrhundert bezeugt. Das Konzil von Trient verlangte 1563 alle zwei Jahre bischöfliche Besuche in den Pfarreien, eine Vorgabe, welche die Trierer Erzbischöfe ganz und gar nicht einhielten. Bis ins 17. Jahrhundert visitierten die Landdechanten oder besonders ermächtigte Pfarrer, denen ein von Trier entsandter Notar zur Seite stand. Befragt wurden der Pfarrer des Ortes und der „Send“ (synodus), ein Laien-Kollegium von Sendschöffen, die sowohl über die Güter, Rechte und Gebäude der Kirche als auch über die geistliche Disziplin der Pfarrangehörigen wachten. Sie trugen dem Visitator „Rügen“ vor, die bis 1601 einen großen Teil der Protokolle ausmachen. Manchmal sind auch die entsprechenden Strafen vermerkt. Sie betreffen böse und gotteslästerliche Worte im Streit, Versäumnis von Gottesdienst oder Sakramentenempfang, unterlassene Messstiftungen für Verstorbene, Arbeiten an Sonn- und Feiertagen, uneheliche Kinder und unerlaubte Trennung von Ehegatten. Aufgeführt sind außerdem die Abgaben an den Visitator, der mitunter den Schöffen ein Mittagessen gibt. Als Beispiel soll der Bericht über Theley von 1582 dienen:

 

„Im Jahre des Herrn 1582, am Donnerstag, dem letzten Tag im Mai, wurde der heilige Send gehalten in der Pfarrkirche Theley,unter dem Vorsitz des oben genannten Herrn Nikolaus Wiltz.

 

Patron dieser Kirche ist der heilige Petrus.

 

In dieser Kirche erschienen auch die Pfarrangehörigen von Hasborn, weil Herr Peter (Alff) Pfarrer beider Pfarreien ist und die Pfarrangehörigen von Hasborn nur wenige sind.

 

Es fehlte niemand aus den beiden Pfarreien.

 

Rügen (Anzeigen) in der Pfarrei Theley

 

An erster Stelle rügen die Sendschöffen, dass Schomachers Marx und seiner Ehefrau keine Seelengerechtigkeit (Sorge für das Heil der Seele nach dem Tod durch Messen bzw. entsprechende testamentarische Regelungen) zuteil wurde und Stefan in das Haus eingezogen ist. Dafür verbürgt sich Drauden Hans.

 

Ebenso wurde Heinen Anna keine Seelengerechtigkeit zuteil durch Brücken Matheis. Dafür verbürgt sich Schomachers Stefan.

 

Ebenso wurde Gotthers Matheis gerügt, dass er seiner Mutter böse Worte gegeben habe. Er streitet das ab. Dafür verbürgt sich Biesen Theobalt.

 

Ebenso wurde Schomachers Stefans Sohn Gutman gerügt, dass er seiner Stiefmutter böse Worte gegeben habe. Dafür verbürgt sich Drauden Amhans. Gutman hat sich entschuldigt.

 

Ebenso wurde Kuh-Michaels Tochter Anna gerügt, dass sie mit Schierter Hansel, einem verheirateten Mann, ein Kind bekommen hat.

 

Ebenso wurde Hohe Matheis Klaus gerügt, dass er mit der Tochter von Theobalts Matheis ein Kind außerhalb der Ehe erzeugt hat.

 

Dafür verbürgt sich Knechtshof-Barthen Johann, bezüglich der Personen bürgt Mergen Mattheis.“

 

Ab 1618 entwickelte sich eine Liste von Informationen über den Pfarrer und die Pfarrei (besonders über deren Einkünfte), die Kirche und ihr Inventar (samt Kirchenbüchern), den Friedhof, das Pfarrhaus und die Schule, den Küster bzw. Lehrer, die Sendschöffen und die Hebamme, die wegen der Fälle von Nottaufen vom Pfarrer vereidigt sein musste. Die Aussagen der Schöffen über die Amtsführung des Pfarrers wurden oft eigens protokolliert.

 

Seit 1712 prägten die Weihbischöfe die Visitationen. Sie schickten ihre Anordnungen meist erst später den Pfarreien zu. Als Beispiel folgen die Weisungen für Marpingen aus dem Jahr 1739, bei denen Weihbischof Lothar Friedrich von Nalbach einen aufwändigen pastoralen Stil pflegt, wie er auch noch in der Übersetzung aus dem Lateinischen deutlich wird:

 

„Auf Grund der Pflicht Unseres Hirtenamtes haben Wir die Pfarrkirche in Marpingen am 12. Juni 1739 besucht und festgestellt, dass Folgendes anzuordnen ist:

 

Um die Anbetung des erhabensten Sakraments des Neuen Bundes (in welchem der Urheber des Heils und der Gnaden enthalten ist) zu fördern, soll aus den frommen Kollekten der Gläubigen das Ewige Licht vor dem Allerheiligsten besorgt werden, mit dem sicheren Vertrauen, dass dadurch größerer Segen vom Himmel herabkommen werde;

 

um es zu bestärken, wollen Wir, in schuldiger Ehrfurcht vor dem großen Sakrament, dass das minderwertige Ziborium (Hostienkelch) entfernt und ein neues, und zwar eines so bedeutenden Dienstes würdiges, so schnell als möglich auf Kosten der Pfarrangehörigen gekauft wird.

 

Und damit der Herr Pfarrer zur jeweiligen Zeit das heiligste Messopfer nach den Vorschriften der Kirche feiern kann, wünschen Wir, dass die Kasel von grüner Farbe, die bisher fehlt, auf die gleiche Weise unverzüglich beschafft wird.  Weil in dieser Pfarrei keine geweihte Bruderschaft zu finden ist, wollen Wir, dass die vom heiligsten Herzen Jesu oder eine andere, die dem Volksgeist besonders gefällt, durch den Herrn Pfarrer auf Grund dieses Schreibens zur Vermehrung der Andacht der Gläubigen eingeführt und nach Kräften unterstützt wird.

Weil der Unterricht der Jugend, die ohne Bildung und in den Wäldern aufwächst, in den Grundsätzen des wahren Glaubens und in guten Sitten die eigentliche Grundlage des übrigen Lebens ist, von der dann die selige oder unselige Ewigkeit abhängt, befehlen Wir den Eltern, dass sie ihre Kinder und ihr Gesinde regelmäßiger, als bisher irgendwann geschehen, zur Christenlehre schicken, und zwar so, dass sie häusliche Arbeiten aller Art zurückstellen, weil diese nämlich einen weit geringeren Rang haben. Sie dürfen nicht, während sie sich mehr um ihr Vieh kümmern als um die Seelen, die mit dem kostbarsten Blut Christi erkauft wurden, Gefahr laufen, dass das gerechte Gericht Gottes von ihren Händen das Blut der verlorenen Seelen zurückfordert. Wir zweifeln keineswegs daran, dass der Herr Pfarrer bei seinem bekannten Seeleneifer diese katechetische Unterweisung wenigstens an jedem zweiten Sonntag und an den Feiertagen ordnungsgemäß halten möchte, und der allzu große Lohn dieser Arbeit wird nicht fehlen.

Weil denn selbst die Ketzer einen Festtag heiligen und keine knechtlichen Arbeiten an ihm erlauben, ermahnen wir die Pfarrangehörigen, dass sie es nicht wagen, solche Tage, die Gott heilig sind, durch knechtliche Arbeit oder irgendwelche anderen unerlaubten Handlungen zu entweihen. Sie sollen das Gegenteil anstreben (damit die Blitze der Verfluchung nicht auf Unschuldige gelenkt werden) und gemäß den erzbischöflichen Statuten durch Geldbußen, die ausschließlich frommen kirchlichen Zwecken dienen dürfen, zum eines Christen würdigen Leben zurückgeführt werden.

 

In diesem Sinn sollen die Sendschöffen, ihres Eides eingedenk, nicht versäumen, das zu tun, was ihres Amtes ist: sie sollen aber besondere Sorge darauf verwenden, dass das nächtliche Viehhüten nicht unterschiedslos durch beide Geschlechter geschieht und so die unschuldigen Seelen durch den Drang der verderbten Natur zur Unvernunft verkommen. Zu seiner Bestätigung haben Wir das Vorliegende eigenhändig unterschrieben und mit Unserem üblichen Siegel bekräftigen lassen.“

 

Von 1757 bis 1781 fungierten im Herrschaftsbereich von Kurtrier – anders als in Lothringen bzw. Frankreich – nur noch Dechanten als Visitatoren, deren Berichte sich für unser Gebiet nicht erhalten haben. Im Jahre 1770 traf Weihbischof Hontheim eine Ausnahmeregelung:

Er beauftragte mit der Visitation des Dekanats Wadrill zwei besonders verdiente Pfarrer: Der Theleyer Johann Augustin Lauxen und Johann Heinrich Demerath aus Thalexweiler haben einen Katalog von 65 Fragen zusammengestellt (1760 und 1781 sind es nur 35 bzw. 38). Sie differenzieren z.B. den Bereich der „scandala“ in „Gotteslästerer, Ehebrecher, Blutschänder, Wucherer, Ketzer und Freigeister“ und vergessen – im Zeitalter der Aufklärung – auch „verführerische Bücher“ nicht.

 

Weil das Jahr 1803 vom betrachteten Zeitraum nicht weit entfernt ist, ist eine hervorragende Chrakterisierung der Region durch Simon Garnier, den Sekretär des damaligen französischen Bischofs von Trier, über den „Zustand der Religion in dieser Gegend“ aufschlussreich:

 

„Die Jugend wird mit größter Sorgfalt unterrichtet. Der Pfarrer lässt von Zeit zu Zeit die Kinder zu sich kommen, er fragt sie nach ihren Fortschritten, er ermutigt sie durch Belohnungen, er weiß sie entsprechend zu strafen, aber mehr auf eine sanfte Art als anders: Eine dieser Strafen besteht darin, sie nicht mit den anderen in seinen Garten zu lassen, wohin er sie gelegentlich kommen lässt, um sie zu befragen.

 

Die Zeremonien werden mit beachtlichem Aufwand ausgeführt. Man singt gewöhnlich die Lieder in der Volkssprache, mit viel Kraft und gut im Takt. Es gibt einen Männer- und einen Frauenchor, und die Orgel begleitet beide. Die Vesper wird von den Männern gesungen, und sie beherrschen ihren Gesang außerordentlich gut, sie harmonieren vorzüglich miteinander.

 

Es gibt in diesem Volk eine gewisse Energie; sie wird überdies durch den Pastor angetrieben, der es leitet. Man sieht einen Beweis dafür in den Kollekten, die jedes Jahr für die öffentliche Schule gehalten werden: es kommen 400 bis 500 Gulden zusammen. – Man duldet hier keinen Bettler – die Unterstützungen werden den Bedürftigen in Naturalien und niemals in Geld zugeteilt; aber die (Bedürftigen), die arbeiten können, haben daran keinen Anteil.“

 

Auch vier Jahre später, 1807, wiederholte sich ein derartiges Lob.

 

Im Folgenden sind Aussagen der Protokolle zusammengestellt, die durch Inhalt und Stil besondere Aufmerksamkeit verdienen.

 

Kirchen – Friedhöfe – Schulen

 

Für die Pflege und Erhaltung des Kirchengebäudes waren die Zuständigkeiten verteilt. Die Pfarrangehörigen mussten für den Turm aufkommen, da von dort z.B. auch die Feuerglocke geläutet wurde. Der Chorraum war in Thalexweiler und Theley Aufgabenbereich des Pfarrers. In Tholey, Marpingen, Bliesen und Hasborn kümmerte sich der Abt von Tholey, in Hasborn die Äbtissin von Fraulautern um Chor und Schiff: sie besaßen als „Kollatoren“ das „Patronat“ über die Kirche, d.h. sie hatten das Recht, den Kandidaten für das Amt des Pfarrers vorzuschlagen und bezogen regelmäßige Abgaben von der Pfarrei. In Thalexweiler sorgte der Abt auch für das Schiff, in Theley tat er es zusammen mit dem Erzbischof von Trier als dem Landesherrn.

 

In Bettingen stritt 1692 die Gemeinde mit dem Tholeyer Abt wegen der ruinösen Kirche, und der Abt konnte durchsetzen, dass die Gemeinde den Neubau leisten musste. 1739 klagten die Schöffen schon wieder, dass die Kirche nicht alle Pfarrangehörigen fassen könne, und dieses Mal wurde die Abtei gezwungen, dem Missstand schnellstens abzuhelfen.

 

Bliesen hatte 1712 eine baufällige Kirche mit unzumutbarer Zuwegung, 1739 war sie im bildreichen Stil der damaligen visitatorischen Anordnungen – ebenso wie in Hasborn – „schlechter als der Stall von Bethlehem“. Der Thalexweiler Pfarrer Johann Michael Mayer stellte 1760 fest: „In baulicher Hinsicht zeichnet sich die Kirche mit dem Chor mehr durch ihr Alter als durch Schönheit und Standfestigkeit aus, dergestalt dennoch, dass sie vielleicht noch einige Jahre bestehen kann.“

 

In Kastel war die Kirche noch 1712 mit Stroh gedeckt.

 

Im 18. Jahrhundert wurde zunehmend Wert darauf gelegt, dass beim Tabernakel das Ewige Licht brannte. Aber Öl hatte seinen Preis, und der nämliche Pfarrer Mayer schrieb 1760: „… da ein Elias, der mit einem nie versiegenden Ölkrug dient, fehlt und auch unbekannt ist, leuchtet es (das Licht) nur an Sonntagen und Festen.“ Gleichzeitig bemerkte sein Mitbruder Johann Augustin Lauxen, dass er bei seinem Amtsantritt in Theley vor zehn Jahren nicht „alles auf einmal erzwingen“ konnte und wollte, und bat um ausdrückliche erneute Anweisung. Jedoch musste er noch 1770 zugeben, dass das Licht nur an den höchsten Festen brannte, auch, weil Weihbischof Hontheim ihm eine Nötigung der Pfarrkinder verboten hatte. Diese beriefen sich zudem darauf, dass es ebenso in den umliegenden Pfarreien gehalten wurde. Lauxen wusste aber eine Lösung: Ein soeben verstorbener junger Mann hatte der Kirche nicht nur Geld für regelmäßige Jahresgedächtnisse, sondern auch für eine Wochenmesse gestiftet und außerdem noch zwanzig Reichstaler vermacht, damit man Pulver für die an Marienfesten üblichen Böllerschüsse kaufen konnte. Weil aber zu solch frommem Zweck immer ausreichend Pulver bereitgestellt wurde und der Verstorbene die Wochenmesse gar nicht nötig zu haben schien, schlug Lauxen vor – im besten Einvernehmen mit dessen Verwandten –, von den Erträgen der zwanzig Taler Öl für das Ewige Licht zu kaufen. Eine solche Abänderung des letzten Willens genehmigte der Weihbischof gern, vertrat er doch in diesem Fall auch die oberste richterliche Instanz.

 

Bei den Friedhöfen wurde immer wieder angemahnt, dass sie durch intakte Mauern und verschlossene Pforten vor dem Zutritt des Viehs geschützt sein mussten. In Theley heißt es 1739 sehr drastisch, der heilige Ort stehe „dem Vieh zum Verzehr der Totengebeine auf allen Seiten offen“. Peinlich war aber, dass der Pfarrer sein eigenes Vieh dort weiden ließ, wie die Sendschöffen versicherten.

 

Ein katholischer Friedhof muss immer ein großes Kreuz aufweisen: das wurde genau kontrolliert.

 

Der eigene Begräbnisplatz für ungetaufte Kinder fehlte 1781 in Marpingen.

 

Die Einrichtung von Schulen war ebenfalls Aufgabe der Pfarrangehörigen, denn dort erhielt die Jugend, „die (wie bereits gehört) ohne Bildung und in den Wäldern aufwächst“ einen großen Teil der Katechese.

 

1712 hatte Bliesen noch kein Schulhaus, „weil die Einwohner in Bliesen kein Grundstück zur Verfügung stellen wollen und darauf bestehen, dass die übrigen Pfarrangehörigen ebenso dazu beitragen müssten.“ Der Visitator erließ die entsprechende Anordnung und empfahl, gegebenenfalls die „weltliche Gewalt“ hinzuzuziehen.

 

1781 wird ganz allgemein für die lothringischen Orte bedauert, „dass man oft welche antrifft, die, während sie Bürger sein wollen, die erste Pflicht der Bürger nicht kennen, nämlich zu wissen, was es denn heißt, ein Christ zu sein.“ In diesem Zusammenhang sollten die Richter und Ortsvorsteher „für die Armen mit geeigneten Mitteln sorgen, dass sie kostenlos zum Unterricht dürfen.“ Kritisiert wird, dass die Unterrichtszeit nur vom 11. November bis zum 17. März dauert.

 

Der Visitator fragte nicht nur, ob die Kinder regelmäßig zur Schule kommen, sondern auch, ob die Jungen von den Mädchen getrennt sitzen. Wir lesen bei St. Wendel unter 1739, dass die Schöffen einerseits über die Doppelfunktion des Schulmeisters als Lehrer und Organist klagen, noch viel mehr aber darüber, dass „in einer so großen Pfarrei die Mädchen vermischt mit den Jungen im Unterricht sitzen.“

 

1760 rügt der Thalexweiler Pfarrer die Eltern, „wenn sie es versäumen, die Kinder zur Schule zu schicken. Dann plagen sie auch noch den Schulmeister, der die Kinder tadelt, weil sie (die Eltern) das höchst schädliche Recht für sich in Anspruch nehmen, den Schulmeister einzustellen oder abzusetzen.“ Während die dortige Schule 1712 noch gut besucht war, konnte in späteren Jahren nur geklagt werden. Die eifrigen Marpinger Kinder dagegen ernteten 1770 und 1781 ausdrückliches Lob.

 

Das St. Wendeler Protokoll von 1807 vermittelt einen Eindruck vom Unterrichtsstoff der Schulen, die dort gerade erst in einem profanierten Kirchengebäude eingerichtet waren:

 

„(Man ging) zuerst in die Mädchen Schule, die 2 maitressen hat, wo Einzelne gelehrt werden in Lesen und Arbeiten. Vom Französischen und Schreiben wird da noch nichts gelehrt. Dann gieng man in die Knaben Schule, wo auch Französisch, Schreiben, Rechnen gelehrt wird. Man machte mit vieler Fertigkeit exempel von den proportionen und algebre.“

 

Die Pfarrer

 

Der Lebensunterhalt des Pfarrers war gesichert, wenn er, wie regelmäßig in Tholey und ab 1739 in Marpingen, ein Mönch der Abtei war. Es lag dann im Ermessen des Abtes, was dieser Pater von den Abgaben der Pfarrei an das Kloster für sich persönlich behalten durfte.

 

In anderen Orten bezog der Pfarrherr Teile der Zehnten, vor allem Korn und Hafer. Theley kannte im 18. Jahrhundert den „Cappelzehnt“ (wahrscheinlich von „Kapelle“ abgeleitet) und die „Älterfrucht“ (Altarfrucht); in Bliesen ist 1618 und 1739 vom „Glockenhafer“ die Rede. Die Filiale Namborn versah 1781 den Pfarrer mit Hanf, Lein und Kartoffeln („cánnabis, linum, cyclamina“). Unter Thalexweiler ist zusätzlich Heu genannt. Die Theleyer und Hasborner fuhren auch Holz an. In Bettingen wurde 1569 festgestellt, dass der Abt von Tholey als Zehntherr dem Pfarrer nicht das zur Verfügung stellte, was für den Unterhalt nötig war.

 

Vielgestaltig waren die Gaben der Alsweiler Kapellengemeinde zu den großen Festen: Jedes Haus stellte 1739 fünf Ostereier, zwei Käse für die Messe am Pfingstmontag und „einige“ Hühner zu Allerheiligen. Die Hasborner gaben damals ihre Eier nicht ordnungsgemäß ab, während sich in Bliesen ein differenziertes System entwickelt hatte: Der Pfarrer „empfängt … von jedem Pfarrkind zwei Eier, „Beichteier“ genannt, die zwischen Ostern und Pfingsten geliefert werden. Zudem erhält er ein Ei von jedem Pfarrkind und auch der Küster eines, zugleich der Kirchenrechner eines wegen der Weihe des Taufbrunnens (d.h. für die Abgabe des in den Häusern benutzten Weihwassers): diese Eier muss der Küster mit dem Kirchenrechner am Tage selbst (d.h. nach der Weihe des Wassers am Karsamstag) einsammeln.“

 

Regelmäßig verfügte der Pfarrer über Ackerland (diesem Zweck gewidmet, daher als „Wittum“ bezeichnet). 1712 klagte der in Bliesen tätige Geistliche Dominik Berg, dass man ihn das jeweilige „Kappes-“ und „Rübenstück“ der Gemeinde nicht mitbebauen lasse. In Marpingen und Theley war der Pfarrer verpflichtet, Zuchtvieh zu halten (1618 bzw. 1760).

 

In Theley durfte er 1601 auch mit Hilfe von „Pfarrhund und Pfarrgarn“ jagen. Mit besonderem Vergnügen liest man, dass in Hasborn dabei sogar ein abgerichteter „Pfarrvogel“ mitwirkte: Wenn der Visitator mit Pferd und Knecht kommt, „soll er einen Pfarrvogel auf der Hand tragen und einen Hund führen. Falls dann das Hündchen einen Hasen erläuft, soll er den Vogel dorthin fliegen lassen und alsdann den gefangenen Hasen zum Pfarrer hintragen und bei demselben übernachten, das Essen und das Futter bekommen.“

 

Weitere Einkünfte hatte der Geistliche durch „Stolgebühren“, d.h. Gebühren für Amtshandlungen, bei denen er die Stola trägt, also bei Taufen, Trauungen, Sterbeämtern und Beerdigungen. In Thalexweiler heißt es 1712 und 1739, dass er dabei zu viel Geld verlange, auch in Theley führten die Schöffen 1739 derartige Beschwerden.

 

Diese Schöffen fanden 1770 in keinem der Orte besonderes Lob, in Marpingen schienen sie sogar „mehr zur Plage des Pfarrers als zu seinem Beistand geschaffen zu sein“. Da sie aber die Amtsführung des Pfarrers beurteilen mussten, gestanden sie in Bliesen, dass sie nicht sagen könnten, ob Franz Ludwig Kläsers Kniebeugen tief genug seien. Er zelebriere jedoch „zu leichtfertig“ und das Predigen falle ihm schwer. Hier hielten sie  eine bischöfliche Ermahnung für wirksamer als die ihre (und das mit Recht). Noch zehn Jahre zuvor hatten sie den damals bereits neun Jahre amtierenden Seelsorger als in Charakter und Amt „völlig untadelig“ gelobt. 1770 erlangte er nur noch die Note „ziemlich gut“ und war „nicht selten im Rausch sich selbst, seinen Bediensteten und vor allem den Kindern zum Ärgernis geworden“. Kläser wollte sich bessern und fügte hinzu, „der Trunk schade ihm schneller als anderen, sogar meistens gegen seine Absicht, auch wenn er glaube, genug vorgesorgt zu haben“. Litt er inzwischen unter Überforderung, oder meinten es die visitierenden Kollegen aus Theley und Thalexweiler nicht gerade gut mit ihm? Sie gaben nämlich zu, die Frage nach der Benutzung eines Talars nur seinetwegen in die Liste aufgenommen zu haben.

 

Kläsers Vor-Vorgänger Dominik Berg erregte 1712 Ärgernis ganz anderer Art, als er den Sendschöffen Mathias Barth auf dem Friedhof „mit Schlägen übel zugerichtet“ hatte. Berg wehrte sich erfolgreich gegen die Anzeige bei einem Laienrichter und erreichte auch eine Untersuchung durch das geistliche Gericht.

 

In Mettnich (Dekanat Merzig) wurde 1624 allein die äußere Erscheinung des Pfarrherrn zur Gefahr:

 

„(Die Schöffen) bringen vor, wie das Irer Her Pastor ahn den füessen ungestalt, Auch Ime die gantze naaß abgefault, dardurch vielleicht, da er Meeß oder predigh thun und gleichmeßigh sich viel uff die gassen gegeben solt, die schwangere weiber sich darüber erschrecken, auch sonst einer oder der ander durch ubellen geschmack (d.h.: es wurde ihm schlecht) in schwacheit fallen möchte.

 

Pitten derohalben und begeren, das er mangelhaffter pastor doch mögte Ab, und jetziger Her Sacellan Johannes Freudenburg angesetzt werde, und er pastor sich des pfarhoffs enthalte.“

 

Der Pfarrer von Lebach (desgl. Dekanat Merzig) wurde bei einer Visitation im Jahre 1680 verurteilt:

 

„Pfarrer Johann Schotlandt soll sich der häufigen Betrunkenheit, Streitigkeiten, Schlägereien, Drohungen, beleidigenden Schimpfworte und Anzüglichkeiten gegen alle geistlichen und weltlichen Personen enthalten.

 

Er soll es nicht mehr wagen, unter einem Vorwand sich direkt oder indirekt chirurgischer Eingriffe, Medikamente, Exorzismen, verdächtiger Zettel und anderer nicht approbierter Segnungen aller Arten zu bedienen.

 

Er muss binnen eines Monats von Lebach in eine andere Pfarrei wechseln.

 

Außerdem wird er acht Tage lang bei den Franziskanern in Beurig (bei Saarburg) Exerzitien machen und den Patres zwei Goldgulden zahlen.“

 

Auch in Hermeskeil gab es 1618 Klagen über den Pfarrer:

„Der Pfarrer führt einen anstößigen Lebenswandel und hat geschworen, nicht länger eine Konkubine zu haben und auch keine mehr zu sich zu lassen, wie auch vernommen wurde; denn ihm wurde bei Strafe des Entzugs der Pfarrei verboten, sich in Privathäusern aufzuhalten, damit er keinen vertrauten Umgang hat und weiterhin sich erlauben wird.“

 

In Kastel war 1680 eine heikle Situation gegeben:

 

„Da der ehrbare Herr Matthias Nocheren, Pfarrer in Castell, allzu häufigen und offenbar skandalösen vertrauten Umgang mit einer gewissen verheirateten Person hatte und sie trotz diesbezüglicher Ermahnung nicht verließ, ferner zum Ärgernis für die Pfarrangehörigen eine Magd, die des Geschlechtsverkehrs mit einem Verheirateten verdächtig war, so lange in seinem Haus behielt, bis sie ein Kind geboren hatte, und sie als unschuldig gegenüber jedermann verteidigte, mit Schändung seines eigenen Charakters und guten Rufes, und damit Anlass gab, dass andere schlecht von ihm dachten, wird er also wegen der genannten und anderen in den Akten einzeln erwähnten Vergehen zu einer Strafe von zwölf Reichstalern zu frommen Zwecken der Kirche – es soll ein Messgewand gekauft werden – verurteilt. Die Aufsicht darüber wird den hochwürdigen Herren Definitoren (Vertretern des Dechanten) des Kapitels Wadrill übertragen. Darüber hinaus soll er zur Reinigung seines Gewissens acht Tage in Beurich bei den Rekollekten-Patres (Franziskaner mit strengeren Regeln) geistliche Übungen halten. Wenn er sie ordnungsgemäß, wie beschrieben, durchgeführt hat, soll er uns innerhalb von fünfzehn Tagen durch ein vom Pater Guardian (Vorsteher des Konvents) erhaltenes schriftliches Zeugnis davon Meldung machen.

 

Beschlossen in Weiskirchen in Gegenwart der hochwürdigen Patres Wilhelm Osburgh, Priesters und Missionars der Gesellschaft Jesu, und Antonius Mannart, Pfarrers in Wahlen, die zum vorgenannten Fall gerufen worden waren, am 12. Juni 1680.

 

Zu bemerken ist, dass der genannte Herr Matthias Nocheren diese Pfarrei verließ und an seine Stelle der ehrbare Herr Nikolaus Koenen trat…“.

 

In Roden beschwerten sich die Sendschöffen unter anderem:

 

„Ferner habe er einmal geprahlt, er sei in seiner Pfarrei der Bischof und kümmere sich um keine kirchliche Obrigkeit.

Ferner habe er einmal in betrunkenem Zustand den sakramentalen Segen erteilt.

Ferner sei er nachlässig im Abhalten der Christenlehre.“

 

Man erfährt auch, wie der hochwürdige Herr sich verteidigte: Die Prahlerei sei vielleicht beim Trunk geschehen, und die Pfarrangehörigen seien nachlässig im Besuch der Christenlehre.

 

Der rechte Umgang mit den Pfarrkindern war (und ist!) in der Tat nicht leicht. Textfremde Exkurse in Predigten verstießen gegen die „kirchliche Sanftmut“, der Pfarrer sollte auch nicht den Eltern drohen, die ihre Kinder allzu unregelmäßig zur Schule schickten (Bliesen bzw. Theley 1739). Er darf, wie es die allgemeinen Anweisungen von 1770 ausdrücken, „anklagen, beschwören und schelten“, aber nur „mit gleichzeitiger Belehrung in allergrößter Geduld“.

 

Wir haben Verständnis dafür, dass der Pfarrer in Bleiderdingen eine „Bruderschaft des Todeskampfes“ („fraternitas ag?niae“) im Jahr 1739 abschaffen und durch eine „Bruderschaft des allerheiligen Sakraments“ ersetzen wollte. Der Visitator aber befand, erstere habe sich vielerorts bewährt und müsse bleiben, die andere dürfe er außerdem einführen.

 

Die Sünden der Pfarrkinder

 

Dieses Kapitel kann, wie eingangs angedeutet, in besonderen Fällen für Familienforscher sehr aufschlussreich sein.

 

Verstöße gegen die Heiligung der Sonn- und Feiertage wurden von den Sendschöffen registriert. In St. Wendel rügten sie 1624, „dass Krauß Hans am Sonntag ausgefahren, um Heu einzubringen, dass weiter Balthes Clas auf Laurentii (am Feiertag des heiligen Laurentius, nämlich am 10. August) Holz heimgetragen“ habe. Offenbar hatten sie nicht um die Erlaubnis des Pfarrers nachgesucht, die dazu in dringenden Fällen erteilt wurde. Eine Strafe gab es wohl nicht. Allgemein wurde aber gleichzeitig festgestellt, dass die Einwohner an Sonn- und Feiertagen Gemüse in den Gärten zu ernten pflegten. Das sollten sie in Zukunft unterlassen. Die Sendschöffen versicherten, es habe sich nicht um eine Gewohnheit gehandelt.

 

Der Zender Klaus in Hasborn – also der Mann, der mit der Einziehung des Zehnten beauftragt war – hatte 1601 die Strafe wegen versäumten Kirchenbesuchs nicht gezahlt. Den Glöckner, der ihn pfänden sollte, habe er „oder seine Hausfrau(!) mit bewehrter Hand“ fern gehalten.

 

1680 wurde der Sohn eines Johann Schwan in St. Wendel wegen Verstoßes gegen das vierte Gebot exemplarisch bestraft:

 

Der Metzer Bischof ordnete an,

„dass er auf der Stelle mit der Rute in der Hand in der Kirche herumging und seinen Vater kniefällig um Gnade anflehte und gleichzeitig vom Hochwürdigsten, vom Pfarrer und den Sendschöffen Verzeihung erbat“.

 

Im Jahre 1739 rügte der Thalexweiler Pfarrer, dass „die Wirtschaften an den Festen manchmal besser besucht sind als die Kirche“. In Bliesen wurde 1781 reger Kneipenbesuch am Aschermittwoch beklagt, dabei sei der Lärm größer als an den Fastnachtstagen gewesen. Durch Kartenspiel würden auch die Sonn- und Feiertage entweiht. Die Hasborner räumten 1739 ein, dass auch sie gelegentlich dem Kartenspiel oblägen, aber „ohne Lärm“.

 

Schwierigkeiten gab es mit den Juden. In Bettingen galten sie 1739 als Ursache vieler Übel,

 

„weil man an Sonn- und Festtagen mit ihnen in ihren Wirtschaften durch ausgiebiges Trinken die Zeit verschwendet.“

 

1770 enthält das Protokoll der Visiation von Bleiderdingen folgenden Zusatz:

 

“Die Sendschöffen erklärten, es sei für die Einwohner von Hobstetten zur Zeit ein sehr großes Ärgernis, dass die Juden an Festtagen allzu offen ihrer Arbeit nachgehen, indem sie Vieh treiben und schlachten; und es gebe welche unter den Christen, die allzu vertrauten Umgang mit den Juden haben, mit ihnen an geheiligten Tagen Karten- und Würfelspiel pflegen, unter der Gefahr der Rebellion. Daher haben sie Grund, eine bischöfliche Anweisung in dieser Sache zu wünschen, weil von den weltlichen Richtern, die meistens von den Juden finanziell abhängig sind, kaum irgendeine Abhilfe zu erhoffen ist.”

 

Außer dem Fastnachtsvergnügen waren auch die Märkte, zumal an Feiertagen, ein Ärgernis, obwohl sie im kurtrierischen Gebiet offiziell auf Werktage verlegt worden waren. Darüber klagte man 1739 in St. Wendel, und der Theleyer Pfarrer Lauxen kritisierte 1760:

 

„Man kann in der Tat nicht sagen, dass es eine andere Zeit des ganzen Jahres gibt, zu der mehr und hässlichere Sünden begangen werden, als an solchen Markttagen, und auch der eifrigste Pfarrer kann das nicht verhindern.“

 

Gleichzeitig mit der Reduzierung der gebotenen Feiertage seit 1759 – trotz Herabstufung einiger Heiligen-, vor allem Apostelfeste sowie der Patronatsfeiern und Kirchweihen von Filialen waren es immer noch über ein Dutzend mehr arbeitsfreie Tage als heute! – musste Lauxen grassierende Unmoral an den Kirchweihen feststellen, nämlich

 

„Ungehörigkeiten, Tänze bei Tag und Nacht, die an den Festen der Kirchweihen stattfinden, an denen gewöhnlich dasselbe begangen wird wie an der Fastnacht, so dass die Feder sich schaudernd zu schreiben sträubt. Und weil dieses Übel sich überall verbreitet hat, wehrt sich der eine oder der andere Pfarrer vergebens dagegen, während die übrigen schweigen und darüber hinwegsehen, als ob Sünden zu solchen Zeiten privilegiert oder weniger Sünden seien als sonst.  Und obwohl all diese Übel kaum verhindert werden können, bestände doch die Hoffnung, dass möglichst viele verhindert würden, wenn bezüglich der an den Kirchweihen üblichen Tänze eine gnädige Mahnung ebenso an das Volk wie an die Pfarrer erginge und wenn wegen der Ausschreitungen, die nach den Bittprozessionen gewohnheitsmäßig begangen werden, die Rückführung der Prozessionen befohlen würde oder die Prozessionen selbst nicht mehr zu den üblichen Orten führten, sondern als wiederholte Umgänge innerhalb der Grenzen der Pfarrei an festgesetzten Tagen vorgeschrieben würden, was gerade die Klügeren und Frömmeren unter den Pfarrangehörigen sehr wünschten. Nur die Jüngeren und Ungezügelteren dürften sich wohl dagegen wehren.“

 

Skandalträchtig in höchstem Maße waren die traditionellen Prozessionen zu besonderen Orten wie zum Blasiusberg, nach Tholey und St. Wendel. Lauxen kritisiert,

 

„dass das Volk zwar zu bestimmten Orten hingeleitet, aber nicht zurückgeführt wird. Weil an den meisten Orten mit der Feier Märkte verbunden sind, geschieht es verbreitet, dass die meiste Zeit, ich will nicht sagen, des Nachmittags, sondern auch des Vormittags, selbst die des Gottesdienstes, sogar noch die Nacht, nicht nur von der dreisten Jugend, vielmehr auch von den Älteren mit Fressen, Tanzen, Streiten, Hurerei usw., mit Scheußlichkeiten und Beleidigungen des höchsten Gottes vertan wird. Es wäre also viel besser, gar nicht zu wallfahren, als in einer solchen Leidenschaft zu wallfahren, die für die sorglose und gerade hierzulande zum Bösen geneigte Jugend nicht nur zur Versuchung wird, sondern zum allgegenwärtigen Unheil für Leib und Seele.“

 

Die Marpinger gingen nach Illingen (Diözese Metz!)

 

„durch lutherische Gebiete, wo man nicht nur ausgepfiffen, sondern auch mit Drohungen angegriffen wird mit nicht geringer Gefahr tödlicher Auseinandersetzungen. Und da das (fromme) Volk auf dem Rückweg der Prozession nicht zahlreich ist, kehren die meisten anderen betrunken zurück, beide Geschlechter vermischt, abends und nachts, skandalös – sie halten es mit dem Glauben anders als wir“.

 

So äußert sich Lauxen 1770, stellt aber gleichzeitig seinen Theleyern ein gutes Zeugnis aus. Sie hätten erlebt, mit welchen schändlichen Reden viele Bewohner gewisser Nachbarpfarreien auf dem Rückweg vom Blasiusberg sein Dorf durchzogen hätten, es sei „ein wahres Wunder, dass die Erde die Lästerer nicht verschlungen hat.“ Schon 1760 war für Theley die Anweisung erfolgt, dass der Pfarrer die Prozessionen auch auf dem Rückweg, der nicht später als um zwei Uhr beginnen durfte, unter Gesang und Gebet begleiten musste.

 

Ein ernstes Problem ist Sexualität außerhalb der Ehe.

 

1582 lasen wir schon eingangs unter Theley von „Mattheis Clauß, das er mit Theobalts Mattheisen dochter ein kindt erzielt außerhalb der ehe“. Das in der Viehzucht übliche Wort „erzielen“ (Zuchtvieh heißt auch „Zielvieh“) wird in diesem Kontext unbedenklich auf Menschen übertragen.

 

1601 wird ebenfalls in Theley gerügt „… das Scherers Greten dochter, welche einmal ein kindt von einem eheman gehat vnnd ihre büß darüber empfangen, nuhn ferner noch eines trachtigh, aber nieman weiß wo sie im landt schwebe.“

Das klingt tragisch. Aber auch 1624 erregte es bei einem guten Ausgang in Hasborn Ärgernis, dass „German zu Exweiller ein Müler mit Zimmer Jacobs dochtern Catharinen (:so noch beim Vatter ist:) ein vneheliges kindt erzielt, welche er nachmals zor ehe genommen“.

 

1712 versprachen die St. Wendeler Sendschöffen, bezüglich „fleischlicher Verfehlungen vor der Trauung und Ehe“ werde man eine Auflistung nach Trier schicken. (Noch 1843 notierte man in der Pfarrei St. Wendel mit 4375 Seelen pro Jahr 10 bis 15 uneheliche Kinder; 1861 glaubte man, „wegen der Eisenbahn“ nehme der Ehebruch zu.)

 

Gleichzeitig erging an die Theleyer Schöffen die Mahnung, sexuelle Ausschreitungen vor der Ehe ohne Ansehen der Person anzuzeigen „und eine Maßnahme des Sends (zu) veranlassen mit Strafen, die nur zum Nutzen der armen Kirche zu verwenden sind“.

Auch verweigerte eheliche Gemeinschaft erforderte Maßnahmen. 1739 beklagte der Pfarrer von Bliesen, dass ein gewisser Johann Joseph nicht mit seiner Ehefrau zusammenlebe. Der Visitator ordnete an:

 

„Was den Streit des Johann Joseph betrifft, der mit seiner Ehefrau nicht zusammenlebt, so beauftragen Wir den Herrn Pfarrer in St. Wendel, dass er ihn schnellstmöglich gütlich zu beenden versuche, damit Wir nicht sonst gezwungen werden, gegen die Urheber und Begünstiger der beklagten Trennung zu Kirchenstrafen zu greifen.“

 

Die „Jugend beiderlei Geschlechts“ war nicht nur durch die vielen Tanzvergnügen, sondern ebenso beim gemeinsamen nächtlichen Viehhüten und dem für Tholey, Marpingen, Thalexweiler und Bliesen belegten Brauch des Glockenläutens während der Mainächte besonders gefährdet. Die Glocken erklangen dann (natürlich mit Unterbrechungen) durch die ganze Nacht und sollten Frost und Hagel abwehren. Sie waren nämlich geweiht, um Schaden durch die „bösen Geister des himmlischen Bereichs“ abzuwehren [Epheser 6, 12. Vgl. hierzu Andreas Heinz, Liturgie und Frömmigkeit, Trier 2008, S. 229 f. oder den Schillers „Lied von der Glocke“ vorangestellten Teil der Inschrift „Fulgura frango.“ („Ich breche die Blitze.“)]. Frauen und Mädchen durften sich bei diesem Mailäuten nicht in der Kirche aufhalten. Offenbar war das aber auf dem Land schwer durchzusetzen. Erst 1783 wurde der Brauch generell verboten.

 

Weil gedeihliches Wetter für den Ackerbau notwendig war, gab es außer den Bittprozessionen eigenständige „Hagelfeiern“ (tonitrualia: „Donnerfeiern“, eine merkwürdige Bezeichnung!), bei denen wie an Fronleichnam zum Gang durch die Flur ebenfalls die Glocken läuteten. Sie fanden an den verschiedensten Wochentagen statt: In unserem Raum waren es Samstage, z.B. in der großen Pfarrei Bliesen der Samstag vor Pfingsten und drei weitere im Dezember bzw. Januar. Das Visitationsprotokoll von 1739 erwähnt Hagelfeiern für Bliesen und Hasborn, erklärt sie für abgeschafft und empfiehlt stattdessen „das Beten des Rosenkranzes oder der Litanei von der seligen Jungfrau Maria“ am Samstagabend in der Kirche, wofür ein Ablass von 40 Tagen gewährt wurde.

 

Auf dieselbe Weise sollte auch 1770 der in Dörfern der Pfarrei Bliesen „aus Aberglauben“ und angeblich auf Grund eines Gelübdes üblichen Arbeitsruhe am Samstagnachmittag entgegengewirkt werden. Solche „Sabbathinen“, wie sie noch 1699 für Marpingen belegt sind, waren im 16. Jahrhundert allgemein verbreitet. Die erzbischöfliche Behörde hatte mehrfach dagegen protestiert und noch 1719 befohlen, dass, abgesehen von einer Messe am Morgen, gearbeitet werden müsse.

 

Die Pfarrangehörigen in Bliesen missachteten 1770 auch die Abschaffung von Festen:

 

„Man lacht nur … über die kirchlichen und geistlichen Weisungen, man fürchtet hier nur die Gerichtsvollzieher. Wenn irgendein Ort in ganz Lothringen, dann ist gewiss dieser Pfarrort mit den zugehörigen kleinen Dörfern widerspenstig, so dass auch der Pfarrer gewissermaßen zu entschuldigen ist.“

 

Im Jahre 1712 war von einer nicht alltäglichen Praktik des Aberglaubens berichtet worden: Wegen einer Pferdeseuche hatten der bereits genannte Schöffe Barth und andere Männer „Pferdebegräbnisse“ vorgenommen. Es erging Weisung, dass Barth aus seinem Amt entfernt werde und die übrigen „eine fromme Wallfahrt zu Ehren des Wundertäters Wendelin, der mit Gottes Hilfe Krankheiten und Seuchen der Tiere geheilt hat, unternehmen und eine Kerze von zehn Pfund opfern.“

 

Von den durchaus rustikalen Verhältnissen der Pfarrei Bliesen hob sich Tholey als Sitz der Verwaltung deutlich ab. Schon 1618 war es zum Konflikt zwischen Amtmann und Pfarrer gekommen: „Der Amtmann erlaubt nicht, dass der Pfarrer seine Pfarrkinder maßregelt, wenn sie die Kirche nicht besuchen.“

 

Gegenüber solchem Liberalismus scheint es nur eine individuelle Selbstherrlichkeit zu sein, wenn der Meier von Hasborn 1739 mit seinem eigenen Sitz vor dem Marienaltar die Zelebranten behinderte. Er sollte deswegen entweder nach Entfernung des Stuhls den dafür bezahlten Reichstaler zurückerhalten oder sich so platzieren, dass er niemandem mehr im Wege war.

 

In Tholey verschärfte sich die Lage aber im Jahre 1760:

 

„Ein schändliches Laster scheint hier sozusagen sesshaft geworden zu sein, nicht so sehr bei den hier geborenen Pfarrkindern, sondern bei den Zugezogenen, die in dieser Pfarrei wohnen dürfen. Das Schlimmste, worüber zu klagen ist, ist die Sünde der allzu üppigen Lebensart, von der auch die Eheleute nicht frei sind. Sie stützen sich dabei auf die folgende Meinung, oder, was schlimmer ist, sie prahlen damit: ‚Der Pastor kann mich ja nicht bestrafen.‘ Daher sind sie auch kaum zu bessern.“

 

1770 beantwortete Pfarrer Lauxen in ähnlicher Weise die Frage nach Gotteslästerern, Ehebrechern, Blutschändern, Kindsmördern, ruchlosen Wucherern, Ketzern, (..) usw.“: Dieser Ort, an dem nämlich die verschiedensten Menschen zusammenströmen, scheint ein Vorrecht auf viele Ungehörigkeiten zu besitzen.“ Erschwerend kam hinzu, dass ein sehr wohlhabender Schöffe königlicher Beamter war und sowohl seine Kollegen im Schöffenamt als auch den Pfarrer und die Pfarrei unter Druck setzte. Dieser „Halbgott“ (so Lauxen) hatte u.a. das Monopol, bei Prozessionen abwechselnd in Tholey und auf dem Blasiusberg Branntwein auszuschenken und „zieht den kleinen weltlichen Gewinn der Ehre Gottes und seiner Heiligen sowie der christlichen Sitte und dem Seelenheil vor.“

Elf Jahre später hatte dieser übermächtige Beamte seine beachtliche Karriere andernorts fortgesetzt, und es gab über die Pfarrei Tholey „keine nennenswerten Klagen“ mehr. Lauxen und Demerath hatten wohl ihres Amtes generell sehr streng gewaltet, denn 1781 fiel das Urteil des Weihbischofs Jean Marie Cuchot d’Herbain hier ebenso wie andernorts viel günstiger aus.

 

Ein kleiner Ausblick ins 19. Jahrhundert:

Wenn man die allgemeinen Beurteilungen der Moral von St. Wendel (1835-1869) und Ottweiler (1856-1873) aus dieser Zeit vergleicht, gibt es für St. Wendel immer eine leichte Kritik (bemerkenswert 1865: „Sie (die Moral) ist nicht, wie sie sein soll, aber besser als in Trier.“); Ottweiler aber, damals durchgängig unter dem politisch und sozial engagierten Pfarrer Anton Hansen, schneidet gut ab. – Dieses Städtchen hat übrigens, dank Hansen, schon 1871 ein gedrucktes Familienbuch!

 

Abschließend ist zu bemerken, dass gerade die Akten aus dem 18. Jahrhundert deutlich machen, wie das Zeitalter der Aufklärung die Seelsorge beeinflusst hat. Die Pfarrer kämpfen gegen Aberglauben und reduzieren auf Weisung ihrer Vorgesetzten ausufernde Prozessionen. Zweifel und Gleichgültigkeit drohen auch auf dem Land um sich zu greifen. Das merkliche Bemühen, die Schulverhältnisse zu verbessern, trägt seinen Teil zur Mündigkeit der Bürger bei, sichert aber ebenso durch einen beständigeren Religionsunterricht die unveränderlichen Inhalte der christlichen Lehre.

 

Margarete Stitz

Historische Forschungen · Roland Geiger · Alsfassener Straße 17 · 66606 St. Wendel · Telefon: 0 68 51 / 31 66
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