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18. Jahrhundert -> 1793 Gehentgen Schmidt Mayländer Schorp Kiniat und Ojemine.

1743 Gehentgen Schmidt Mayländer Schorp Kiniat und Ojemine.
von Roland Geiger

Es fing damit an, daß ich im Sterbebuch 1775-1778 der katholischen Pfarrei St. Wendelin, St. Wendel, auf diesen Eintrag stieß:

Eintrag 255 auf Seite 180:
„Anno Domini 1793 die decima nona mensis septembris ex
dysenteria anno aetatis quadragesimo secundo hora quinta
Vespertina mortua est Elisabetha Schorb nata Kiniat
uxor Michaelis Schorb bubulci in Alsfassen sacramentis
paenitentiae Eucharistiae et extremae unctionis mature munita
coemeterio parochiae communi a me infrascripto parocho.
In fidem W.J. Castello Pastor.“

Nun ist mein Latein zugegebenermaßen nicht besonders, aber hieraus habe ich folgende Schlüsse gezogen:

Am 21. September 1793 starb an Durchfall im Alter von 42 Jahren gegen 5 Uhr abends Elisabetha Schorb geb. Kiniat, Ehefrau von Michael Schorb, Kuhhirte in Alsfassen, mit allen Sakramenten versehen und wird auf unserem hiesigen Gemeindefriedhof begraben. [Alsfassen ist der Vorort von St. Wendel, wo ich wohne.]

„Kiniat“ ist ein Nachname, den ich nicht zuordnen kann, Schorb dagegen schon. Der taucht nämlich in den Versuchen zweier Rudolfe auf, in St. Wendel eine Ortsfamilienbuch zu kreieren: Rudi Jungs nie in Papierform, sondern nur auf Rolf Freytags alle Rudi-Jung-Bücher enthaltenen CD-Zusammenstellung erschienes OFB St. Wendel, das nur bis kurz vor 1800 reicht und somit rein aus den Kirchenbüchern zusammengestellt ist, sowie Rudolf Gerbers „Einwohnerbuch St. Wendel“, das in mehr oder minder zwei Teilen in Form von Tauf-, Geburten-, Heiraten-, Sterbe- und Beerdigungslisten-Abschriften auf Basis der gleichen Kirchenbücher plus teilweise der Zivilstandsregister beruht. Der Unterschied zwischen beiden ist, daß Jung Familien zusammenstellte, was der Benutzende bei Gerber noch tun muß. Bei beiden findet sich Michael Schorb - bei beiden in Form der mageren Informationen ihrer gemeinsamen Quellen.

Michael Schorps Beruf habe ich aus dem obigen Sterbeeintrag erfahren. Okay, ich gebe es zu: ich habe es nicht herausgekriegt, sondern Frau Dr. Margarete Stitz. Denn ich habe dort nicht „bubulci“ gelesen, was auf Deutsch „Ochsentreiber, Ochsenknecht“ bedeutet, sondern „bubulii“. Vielleicht hätte mir auffallen sollen, weil das vermeintliche erste „i“ hinter dem „l“ keinen Punkt über dem Strich hat und deshalb kein „i“, sondern ein ziemlich grades „c“ ist. Aber ich ehrlich gesagt, war ich mir nicht mal sicher, ob das „l“ ein „l“ oder ggf. ein „t“ war. Keine Chance.

Was den Cowboy wohl ausgerechnet nach St. Wendel verschlagen hat?

Jedenfalls heiratet er dort am 19.11.1776 Anna Hess, geboren 1742 in St. Wendel, Tochter von Wendel Hess und Katharina Böffel. Da ihre Eltern im Heiratsakt enthalten sind, finden wir seine dort ebenfalls - und seine Herkunft.

Im Heiratseintrag erfahren wir, daß kirchenrechtsgemäß drei Eheverkündigungen stattgefunden haben „publice in Ecclesia nostra Parochiali“, d.h. publiziert in der Kirche unserer Pfarrei (dort gab es nur eine, nämlich die in St. Wendel). Aber dort steht auch, daß von der Pfarrei Lorentzen, Bistum Metz, Archipresbyteriat Bockenheim, Grafschaft Saarwerden, ihm in Form einer „authentica testimonio Libertatis“, übermittelt durch die Zivilverwaltung, die Freiheit erteilt wird zu heiraten, da - nachdem in seiner Pfarrei die geplante Ehe vermutlich bzw. wahrscheinlich auch verkündet worden war - niemand dagegen Einspruch erhoben hatte.

Weiterhin lernen wir aus dem Eintrag, daß Michael Schorb ein legitimer Sohn des verstorbenen Nikolaus Schorb und seine Ehefrau resp. jetzt Witwe Anna Maria Grebihl ist und aus dem Ort Bütten stammt. Dieser kleine Ort - dem im Franzöischen die beiden Punkte über dem „u“ fehlen - liegt im sog. „Krummen Elsaß“ und gehört heute zum Kanton Ingwiller im Arrondissement Saverne, Département Bas-Rhin in der Region Grand Est.

Ein Familienbuch habe ich online nicht gefunden, also stieg ich über die Website der „Archives Départementales du Bas-Rhin“ in die dortigen Kirchenregister ein, die auf der Website „archives.bas-rhin.fr/rechercher/documents-numerises“ online einsehbar sind. Mein Französisch ist so gut wie mein Latein, aber zum Überleben und zum Recherchieren reicht es - wenn auch oft etwas mühselig - aus.

Ich klicke auf
=> „registres paroissiaux et documents d'état civil“ und dann auf
=> „L'application Adeloch“, tippe den Ortsnamen „Butten“ ein und bestätige.

Ich weiß, das Anna Hess katholisch ist, und ich vermute es bei Herrn Schorp ebenso, auch eingedenk des Umstandes, daß das Toleranzedikt des Trierer Kurfürsten, das es nicht-Katholiken erlaubt, sich in St. Wendel niederzulassen, erst in vier Jahren verabschiedet wird. D.h. er muß katholisch sein, dort darf er zwar in das Amt und die Stadt rein, muß aber binnen drei Tagen wieder raus.

Blöd ist, daß auf der Seite (archives.bas-rhin.fr/registres-paroissiaux-et-documents-d-etat-civil/ETAT-CIVIL-C72#search-results), nur auf protestantischer Seite Register zu erkennen sind, d.h. man sieht dort sowohl links als auch rechts „virtuelle“ Aktenordner stehen, bei den Katholiken links einer in braun und beiden Protestanten rechts auch einer in braun und zwei beschriftete in schwarz. Das System ist klar - nur in den schwarzen Ordnern findet man Akten.

Nun, denke ich, Toleranzedikt hin oder her, die Hoffnung stirbt zuletzt, jedes Klischee ist mir recht, solange ich etwas finde. Die protestantischen Einträge sind in deutsch und gut lesbar. Ich finde sogar einen Eintrag auf „Demuth“, von denen wir in St. Wendel richtig viele haben, aber „Schorp“ finde ich nicht. Nach 30 Minuten und vielen nicht gezählten umgeblätterten Seiten und leicht tränenden Augen gebe ich auf. Ich springe zurück auf die Registerseite und betrachte frustriert den braunen katholischen Ordner. Zufällig wische ich mit der Maus darüber, und eine Textzeile zeigt sich: „Paroisse catholique (Abant 1793) - voir Domfessel et Lorentzen“.

Lorentzen? Das kenne ich doch. Das ist der Name der Pfarrei aus dem Heiratsakt. Also springe ich zurück auf die Seite, wo ich den Ortsnamen erfassen kann, und gebe „Lorentzen“ ein. Dort stehen jetzt drei schwarze Ordner bei den Katholiken.

BMS 1680-1803
BMS 1744-1758
BMS 1785-1809,

wobei BMS für „baptemes mariages sépultures“, also „Taufen Heiraten Beerdigungen“ steht.

Anna Hess wurde 1742 geboren und (Achtung: Spoiler) seine zweite Ehefrau Elisabeth 1743, also wird er wohl auch in dem Dreh liegen, eher eins oder zwei Jahre älter. Ich nehme mir den ersten Ordner vor. Auweiah, der ist nicht gut zu lesen, abgesehen vom Latein. Die Aufnahme ist sehr grau, die Buchstaben passen sich sehr der Oberflächenfarbe an. Na, das wird ein Spaß. Der Ordner umfaßt einen ziemlichen Zeitraum, also klicke ich mitten rein. Und finde meinen Eintrag auf Anhieb. Fragen Sie nicht, wie das geht; nehmen Sie es einfach so hin. Das Glück ist mit den Dummen.

Auf der Doppelseite finden sich 17 Einträge, jeweils der volle Text und jeweils links daneben der Name des Täuflings. Auf dem linken Blatt gibt es acht Einträge, aber meine Lieblingsschicksalsgöttin (den Namen verrate ich nicht, sondern werden die anderen eifersüchtig - und mit denen will ich mich nicht unbedingt anlegen) hebt den richtigen Eintrag dadurch hervor, daß sie ihn nicht hervorhebt. Alle Täuflingsnamen sind fett geschrieben - außer einem, was diesen hervorhebt. Ist natürlich genau der richtige.

„Anno Domini Millesimo Septingentesimo quadragesimo secundo die decima quarta junii baptizatus est Joannes Michael Schorb filius legitimus Nicolai Schorb et Annae Mariae Grebill conjugum ex Bütten.“

„Im Jahre des Herrn 1742 am Tag 14. Juni wurde getauft Johann Michael Schorb, legitimer Sohn von Nikolaus Schor und Anna Maria Grebill, Ehepaar aus Bütten.“

Q.E.D.

Die Paten habe ich alle gelesen, aber sie sind für unsere Geschichte nicht von Belang. Das Geburtsdatum steht hier nicht, aber Kinder wurden damals sehr zeitnah getauft, möglichst am gleichen Tag. Also wird Michael Schorb am 13. oder 14. Juni 1742 geboren sein.

Er und Anna Hess haben zwischen 1777 und 1783 drei Töchter und einen Sohn. Anna stirbt am 29.11.1785 in Alsfassen, und schon drei drei Monate später heiratet der Witwer erneut:

Die 21mae Februarii 1786 tribus Proclamationibus in Ecclesia
parochiali ad Sanctum Wendalinum de more Ecclesiae Catholicae publicè factis
futuri Matrimonii inter honestum Michaelem Schorp ex Altzfassen,
defunctae Annae Hess relictum legitimum Viduum, et honestam
Elisabetham Mailänder ex Gehweiler, defuncti Andreae Mailänder
relictam legitimam Viduam, nulloque detecto Canonico, aut civili
impedimento, praefatos Sponsos, praeviè recepto mutuo eorum
Consensu, Sacro Matrimonii Vinculo in facie Ecclesiae conjunxi.

Wieder einmal versuche ich mich einem Text - und wieder einmal zeige ich Ihnen lieber die korrigierte Variante, die Frau Dr. Stitz angefertigt hat, mit dem Bemerken, daß es sich um eine Inhaltsangabe handelt, nicht um eine Übersetzung, denn Subjekt des lateinischen Textes ist der Pfarrer!:

„Am 21. Februar 1786 haben nach gemäß den Sitten der katholischen Kirche dreifacher öffentlicher Ankündigung der bevorstehenden Heirat der ehrenwerte Michael Schorp von Altzfassen, auf legale Weise zurückgelassener Witwer der verstorbenen Anna Hess, und die ehrenwerte Elisabeth Mailänder aus Gehweiler, auf legale Weise zurückgelassene Witwe des verstorbenen Andreas Mailänder, in der Pfarrkirche St. Wendelin, nachdem seitens der Kirche und zivilrechtlich keine Einwände erhoben wurden, im Angesicht der Kirche (als Institution) den Bund der Ehe geschlossen.“

In besagtem Sterbebuch findet sich auf Seite 97 der Eintrag 269, aus dem wir erfahren, daß am 30. November 1785 begraben wird „Anna uxor Michaelis Schorp ex Altzfassen“, gestorben einen Tag zuvor. Sie ist tot, er lebt noch. Wäre er tot, würde sie als Witwe bezeichnet werden.

Am 21. Februar 1786 - so lesen wir im Heiratsbuch 1775-1798 auf Seite 83 ganz unten - heiratet der ehrenwerte Michael Schorp aus Alsfassen, legal zurückgelassener Witwer der verstorbenen Anna Hess, die ehrenwerte Elisabeth Mailänder aus Gehweiler, legal zurückgelassene Witwe des Andreas Mailänder. Aus der Ehe geht ein Kind hervor, Elisabeth, geboren am 09.11.1786 in Alsfassen.

Leider steht im Heiratsbuch nicht drin, wie alt Elisabeth Mailänder ist. Die 1793 verstorbene Elisabeth Kiniat war 42, d.h. sie ist geboren 1751. Der Vornamen stimmt schon mal, aber nicht der Nachnamen. Nun ist „Mailänder“ natürlich nicht der Nachname von Andreas Mailänders Witwe, sondern ihr Ehename. Den Geburtsnamen erfahren wir aus ihrem Heiratsakt.

Gehweiler gehörte im 18. Jahrhundert bzw. vor 1792, als es zu der neugegründeten Pfarrei Furschweiler kam, zur Pfarrei St. Wendel. Also müßte sich die Heirat des Ehepaars Mailänder auch in den dortigen Akten befinden.

Tatsächlich ist dem so - auf Seite 21 wieder ganz unten - nein, halt - fast ganz unten findet sich der Eintrag:

Am 9. Mai 1778 nach dreimaliger Verkündigung in  St. Wendel  und Ottweiler und ohne, daß jemand Widerspruch einlegte, hat der ehrenwerte junge Mann Andreas Mayländer aus Gehweiler, Sohn von Johann Mayländer und seiner Ehefrau Elisabeth Schaad (aus Gehweiler), die ehrenwerte Witwe Elisabeth Gehengen aus „StenWeiler“ geheiratet, legal zurückgelassene Witwe des Conrad Schmidt.

Ehe ich nun mangels Gelegenheit der Einsichtnahme der Ottweiler Kirchenbücher die aus St. Wendel verlasse, schauen wir noch mal grad mal nach, ob es aus der Mayländerischen Ehe Kinder gab: jawohl, das ist der Fall, schon wieder eine Elisabeth, diesmal Mayländer, geboren am 07.09.1779 in Gehweiler.

Zu ergründen, was weiter geschah an Weinen und Klagen der Männer und Frauen, dazu erlauben Sie mir bitte, das Familienbuch Stennweiler zu Rate zu ziehen, das Monika Mörsdorf 1990 für den Zeitraum 1537-1880 zusammenstellte.

Dort suchte ich nach Conrad Schmidt und fand ihn auf Seite 200 im Eintrag 379.

Dort steht, daß er 1746 in Stennweiler geboren wurde und 7. September 1772 dort auch starb. Am 10. September genau ein Jahr zuvor heiratete er die Frau namens Elisabeth, die uns einst als Elisabeth Mailänder begegnet worden sein wird (nun ja, den Mailänder heiratet sie ja erst später, aber wir haben die Heirat früher gefunden, daher also diese etwas umständliche Form).

Wie wir hier jetzt sehen, ist ihr Familienname nicht „Gehengen“, sondern „Gehentgen“.

Der Eintrag im Stennweiler Buch verweist auf die zukünftige Heirat mit Mayländer 1778 und gibt uns für Elisabeth ein Geburtsdatum an: den 10. November 1743.

Und das paßt - nicht. Denn die Elisabeth Kiniat soll 1793 42 gewesen sein, nach Adam Riese also geboren 1751. Und der Namen „Kiniat“ ist auch noch nicht aufgetaucht.

Ein Verweis im Eintrag Nr. 379 verweist auf Elisabeths Eltern. Ehe wir also die Flinte ins Korn werfen, lassen Sie uns nachschauen, was unter dem Eintrag 107 steht. Den finden wir auf Seite 82.

Ihr Vater heißt Johann Georg Gehentgen. Der Ackerer, geboren um 1703, kam um 1720 aus seinem Heimatort Daun in der Eifel zuerst nach Landsweiler bzw. Gennweiler und erst in den 1730ern nach Stennweiler. Er heiratete 1733 Anna Elisabeth Woll aus Hirzweiler, die ihm 9 Kinder schenkte. Der älteste, Johann Adam, kam 1735 noch in Gennweiler auf die Welt, der zweite - Johann Jakob - 1738 dann in Stennweiler.

Elisabeth, die uns ja interessiert, war das vierte Kind und die zweite Tochter, geb. 1743 in Stennweiler.

Ein interessanter Vermerk steht oben hinter dem Namen „Gehentgen“. Denn er taucht in verschiedenen Schriftstücken in verschiedenen Namensvariationen auf: „Gehentgen“ gibt es auch als „Joengi“, „Gehengen“ (kennen wir aus St. Wendel) und „Johändges“. Auf letztere Form bin ich zum ersten Mal auf einem amerikanischen Friedhof im Bundesstaat New York gestoßen und war doch ziemlich überrascht, die Vorfahren dieser Person in Lebach zu finden.

Aber weder wird „Kiniat“ damit erklärt noch die Diskrepanz zwischen dem Geburtsdatum und dem Alter lt. Sterbeeintrag. Ein bißchen Schwund ist immer, aber acht Jahre, das ist schon stramm.

Also hab ich überlegt, ob ich ggf. eine Heirat übersehen habe:

Elisabeth Gehentgen heiratet
1. 1771 Conrad Schmitt
2. 1778 Andreas Mailänder
3. 1786 Michael Schorp

Angenommen, sie und die Elisabeth geb. Kiniat, die 1793 gestorben ist, sind nicht identisch, dann muß Michael Schorp nach Elisabeth Gehentgen nochmal geheiratet haben, nämlich die Elisabeth Kiniat.

Zuerst habe ich herauszubekommen versucht, was aus Schorp geworden ist. Vielleicht steht in seinem Sterbeeintrag etwas über seine Ehefrau. Vielleicht hat er das Jahr 1798 überlebt (in dem Jahr hat Napoleon bei uns den Zivilstand eingeführt), und seine Sterbeanzeige findet sich im Zivilstandsregister. Aber dort glänzt er komplett durch Abwesenheit.

Er heiratet Elisabeth Gehentgen im Februar, und im November kommt ihr Kind zur Welt. Danach taucht er noch einmal auf, als „uxor“ beim Tod von Elisabeth Kiniat. „Uxor“ = "Ehefrau", d.h. zu dem Zeitpunkt lebt er noch, d.h. er stirbt nach dem 19. September 1793. Aber nicht in St. Wendel. Geboren ist er um 1750 in „Butten, Pfarrei Lorentzen, Bistum Metz“. Vermutlich. Wo auch immer das genau liegt bzw. wie auch immer das heute heißt. Das wird zur sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen.

Also suche ich mir Sterbeeinträge zu „Schorb“ heraus. Glücklicherweise hat das Sterbebuch 1775-1778 ganz hinten ein handgeschriebenes Namensregister:

Zu Schorb finden sich Hinweise auf die Seiten 97, 180, 190 und 194.
Die auf den Seiten 97 und 180 kennen wir schon, das sind die Einträge von Anna Hess und Elisabeth Kiniat.

Lassen Sie uns zuerst auf 194 schauen. Dort steht, daß am 27. Januar 1794 gestorben ist „ex febri putrida“, d.h. „an Faulfieber“, das Mädchen Elisabeth Schorb, 7 Jahre alt, Tochter von Michael Schorb, „custodis vaccarum“ (das ist wieder der Kuhhirte) und Elisabetha geb. Henn, einem Ehepaar, das zur Zeit in Alsfassen wohnt. Beerdigt wird sie am 28. Januar von Kaplan Johann Weismüller auf dem hiesigen Friedhof.

Jetzt wird’s richtig kompliziert.

Wörtlich heißt es über den Aufenthaltsort des Ehepaares „conjugum in Alsfassen pro tempore commorantium“. Übersetzt ist das „ein Ehepaar, das vorübergehend in Alsfassen wohnt“. Das ist das „Partizip Präsens Aktiv“, für das das Prinzip der Gleichzeitigkeit gilt [darauf hat mich Frau Dr. Stitz hingewiesen - auf so etwas komme ich nicht von allein.] Das heißt, für Partizip gilt die gleiche Zeit wie für das Hauptverb „mortua est“. Das steht in der Gegenwart, also steht das Partizip auch in der Gegenwart. Also wohnen die Eltern des Mädchens zum Zeitpunkt seines Todes in Alsfassen.

„Henn“ ist augenscheinlich eine Verkürzung von „Gehentgen“, aber wenn die Eltern des verstorbenen Kindes zur Zeit noch in Alsfassen wohnen, kann die hier noch lebende Mutter schlecht im September des Jahres zuvor in St. Wendel gestorben sein.

Was bedeutet, daß Elisabeth Kiniat nicht Elisabeth Gehentgen ist. Aber weder gibt es eine Heirat eine Michael Schorb mit einer Elisabeth Kineat noch einen zweiten Michael Schorb überhaupt.

Das ist zum Verrücktwerden. Aber da hab ich’s ja eh nicht mehr weit bis hin …

Einen Eintrag im Sterbebuch habe ich noch nicht betrachtet: den auf Seite 190.

Er betrifft wieder den Tod eines Mädchens. Am 22. Dezember 1793 stirbt ebenfalls an Faulfieber die 18jährige Eva Schorb. Sie ist die legitime Tochter des Michael Schorb und der verstorbenen Elisabetha geb. Mayländer, einem Ehepaar, das „olim“ = „einst“ in Alsfassen gewohnt hat.

Im ersten Moment danke ich: Ha! Das ist es, was ich gesucht habe! „Mayländer“ und „verstorben“. Ja, okay, Elisabeth Gehentgen ist keine geborene Mayländer, sondern eine geborene Gehentgen verwitwete Schmidt verwitwete Mayländer - geschenkt. Aber wenn jemand diesen ganzen Hergang 1793 nicht kennt, sondern nur weiß, daß Elisabeth, Michel Schorbs Ehefrau, vorher Mayländer hieß, liegt der Schluß nahe, daß sie eine geborene Mayländer ist.

Aber wenn es hier heißt „verstorbene“ - was paßt, denn Elisabeth Gehentgen ist jetzt drei Monate tot -, dann könnte es sich bei der Elisabeth Henn von 1794 doch um eine weitere Frau Michael Schorbs handeln - nun, das könnte sie nicht und ist sie nicht. Denn in diesem Eintrag 1794 soll nicht die dann 1794 gegenwärtige Ehefrau von Michael Schorb genannt werden, sondern die tatsächliche Mutter des Mädchens - und das war nun mal Elisabeth Gehentgen. Auch wenn sie dort „Henn“ genannt wird.

Also ist Elisabeth Gehentgen doch Elisabeth Henn, aber wer zum Kuckuck ist Elisabeth Kiniat?

Ach, für einen Moment - nur für einen Moment - ach, war das ein schöner Moment ...

Nota bene:
Noch eine Bemerkung zu dem letzten Sterbeeintrag. Die am 22. Dezember 1793 verstorbene 18jährige Eva Schorb ist die legitime Tochter des Michael Schorb und der verstorbenen Elisabetha geb. Mayländer (Gehentgen). Sie ist also um 1775 geboren.

Aber ihre Eltern haben erst 1786 geheiratet, da war das Mädchen schon elf Jahre alt. Ach, Moment, Elisabeth war ja vorher mit Mayländer verheiratet gewesen, hm, die Heirat war 1778, da war das Kind schon drei. Dann aus der Heirat zuvor mit Conrad Schmidt, die war 1771. Na also, paßt doch. Aber Schmidt starb im September 1772, da war das Kind noch „minus 3“.

Also kam das Kind unehelich auf die Welt. Aber wieso heißt es dann „Schorb“ und trug nicht wie damals üblich den Namen der Mutter „Gehentgen“ oder mindestens „Schmidt“? Und wieso steht im Sterbeeintrag „legitim“ und nicht „unehelich“?

Da das Kind „Schorb“ heißt, wird Michael Schorb es adoptiert haben, sprich: legitimiert. Okay. Aber gab’s das damals schon? Vor dem Code Civil? Auf Basis welchen Rechts und welcher Notwendigkeit? Na, ich weiß das doch auch nicht.


Apropos „Code civil“. In Frankreich ist die Adoption erst durch dieses von Napoleon initiierte Gesetzbuch eingeführt worden. Danach durften Volljährige an Kindes statt angenommen werden, und nur dann, wenn sie entweder dem Adoptivvater das Leben gerettet haben oder von diesem sechs Jahre lang ununterbrochen während ihrer Minderjährigkeit mit Unterhalt versorgt worden waren. [de.wikipedia.org/wiki/ Adoption]. Das paßt hier ja nicht wirklich; die sechs Jahre Versorgung kriegen wir sicher hin, aber das Mädchen wurde nie volljährig, und die Sache mit der „Lebensrettung“, danach brauchen wir nicht mal zu suchen. Davon abgesehen, daß der Code Civil erst 1804 eingeführt wurde.

Trotzdem habe ich mich umgeschaut. In Scottis „Sammlung der Gesetze und Verordnungen des Churfürstentums Trier“, Teile I-III, erschienen 1832 in Düsseldorf und online einsehbar in der Digitalen Sammlung der Universität Bonn [https://digitale-sammlungen.ulb.uni-bonn.de/ulbbnfb/content/titleinfo/2963976], das immerhin 922 Gesetze und Verordnungen des Kurfürstentums aus der Zeit zwischen 1310 und 1802 enthält, findet sich viel Interessantes, aber kein Wort über Adoptionen.

Ebenso wenig wie im „Erneuert- und vermehrtes Land-Recht des Erz-Stifts Trier : durch den Hochwürdigst-Durchlauchtigsten Herrn Herrn Carl Erzbischof Zu Trier, (…)“ aus dem Jahre 1713, das sich auf der Website des Landesbibliothekszentrums Rheinland-Pfalz [www.dilibri.de/ubtr/content/titleinfo/90820] einsehen läßt.

Ich komme hier nicht weiter. Nun, das wär ja auch zu einfach gewesen.

Aber wenn tatsächlich gilt, was ich eben über den Sterbeeintrag der siebenjährigen Elisabeth Schorb schrieb - ihrer (?) Halbschwester (?), daß im Eintrag die tatsächlichen Gegebenheiten stehen müssen, also die Eltern, wieso steht dann hier der Adoptivvater? (Wenn’s tatsächlich eine Adoption war).

Mir scheint fast, als ob alle Kinder einer vorherigen Ehe automatisch den Namen ihres Stiefvaters erhielten, wobei natürlich die Frage ist, welche Konsequenz für die Frau und die Kinder die Führung eines bestimmten Nachnamens hatte. Vielleicht mache ich mir viel mehr Gedanken drum als die Leute damals.

Oje!

Alsfassen am 9. März 2021

Roland Geiger


Nb: „Oje“, eigentlich „Ojemine“ = Ausruf des Erschreckens oder der Bestürzung; Verballhornung von lateinisch o Jesu (domine) „o (Herr) Jesus“.


Historische Forschungen · Roland Geiger · Alsfassener Straße 17 · 66606 St. Wendel · Telefon: 0 68 51 / 31 66
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